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Geheime Weichmacher

Geheime Weichmacher

Fernseh-Kritik
ZDF, Donnerstag, 14. Dezember: Frau Minister. Ober Politikerinnen mit Macht.
11    Als vor zwanzig Jahren die Neue Frauenbewegung ihren Aufbruch vorbereitete,
2 hatte sie vor allem eins im Sinn: die Öffentlichkeit zu gewinnen - auch für ihre Anliegen,
3 vor allem aber für Präsenz. Daß sie, die Frauen, nicht genauso wie die Männer auf Podien
4 und Tribünen glänzten, nicht genauso in Parlamenten und Medien auftraten, das [id:53123]
5 sie zu Beginn unsrer auf Selbstdarstellung versessenen Epoche am meisten. Sie stritten für
6 ihr Recht auf Macht und Ruhm und hatten hier und da Erfolg. Inzwischen sind wir soweit,
7 daß im Fernsehen die alte Frage neu gestellt wird: Was verändert sich eigentlich, wenn
8 Frauen das Heft in die Hand nehmen? Läuft nicht doch alles wie gehabt? Oder wandelt
9 sich mit dem Geschlecht der Person im Amt auch das Amt und damit [id:53124]?
210    Der Unterschied ist auch hier ein kleiner, seine Folgen ab er sind womöglich groß.
11 Was sich ändert, sind so schwer faßliche Gegebenheiten wie Atmosphäre, Stil und
12 Akzente, vielleicht allerdings auch Massiveres wie Prioritäten, Hierarchien und die
13 Festigkeit des »Drahts« zur Bevölkerung. Frauen bringen alles in allem über die
14 Frauenförderung hinaus [id:53125] in die Politik. Aber es ist die Frage, ob all die schwer
15 faßlichen Einzelheiten, die da plötzlich anders aussehen, nachdem eine Frau Ministerin
16 den Amtseid abgelegt hat, nicht in der Summe doch viel mehr bewirken, als neue
17 Programme es könnten. Denn was in der Politik vor allem stört, sind ja »die Strukturen«.
18 [id:53126] verfügen da, so scheint es, über einen geheimen Weichmacher.
319    Anna Doubeks Film stellte vier prominente »Politikerinnen mit Macht« vor.
20 Ministerin Eva Rühmkorf aus Schleswig-Holstein, Senatorin Heide Pfarr und Kollegin
21 Michaele Schreyer aus Berlin sowie Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Doubek
22 interviewte ihre Stars, begleitete sie, erzählte über sie, befragte männliche Mitarbeiter
23 nach ihrer Erfahrung mit den ranghohen Damen. Die Befunde waren jeweils sehr ähnlich.
24 Engholm sprach von einer »zivileren Atmosphäre«, die durch weibliche
25 Regierungsmitglieder gestiftet würde. Momper ergänzte, hierarchische
26 Führungsmethoden würden von Frauen [id:53127] und die Wünsche des Volkes von ihnen
27 rascher erkannt. Während Männer - so ein Schreyer-Mitarbeiter - ihren Status persönlich
28 nehmen und sich in ihm spreizen, nehmen Frauen die Sache persönlich und stürzen sich
29 »leidenschaftlich« (Momper über Schreyer) in die Schlacht. »Ich denke«, sagt Rita
30 Süssmuth, »uns Frauen sind die [id:53128] nicht so wichtig. Da wir um der Sache willen in
31 der Politik sind, drängen wir aufs Handeln.«
432    Ein gar zu [id:53129] Resümee? Man befürchtet es fast. Denn wie steht es mit der
33 Rivalität unter Frauen, ihrer notorischen Neigung zur Intrige, ihrer Scheu vor Kampf mit
34 offenem Visier? Keine Sticheleien beim rituellen Hexenfrühstück der acht Senatorinnen
35 von Berlin? Aber wo, [id:53130]. Die anderen wirken als nötige Stütze und Solidar-
36 Partnerinnen, man spricht sich ab und zieht sich mit. Daß die Alibi-Frau, die einzige in
37 einer Männerrunde, gar nicht anders kann, als sich an die männlichen Muster anzupassen,
38 das wird jetzt, da es ein weibliches »Milieu« gibt, praktisch ersichtlich; jener Effekt ist nur
39 durch eine Quote [id:53131]
540    »Und wer die Quote nicht will«, sagt Rita Süssmuth, »muß beweisen, daß er die
41 Frauen will.«
,br /> Die Zeit, 22.12.1989