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Die Dinge des Lebens

Die Dinge des Lebens

Buchbesprechung
Michael Jürgs: Der Fall Romy Schneider (4). Biographie. List Verlag, München 1991.

11    Das wirkliche Leben ist eine Erfindung, die Wahrheit liegt in der Fiktion. Die
2 schönsten Biographien leben von dieser Einsicht: Norman Mailer über Marilyn Monroe,
3 David Thomson über Warren Beatty. Sie haben erkannt, daß Schauspieler nicht von ihrem
4 Image zu trennen sind, und sie leben davon, daß sie die Bilder, die man sich macht, ernst
5 nehmen. Die Fakten eines Lebens sind nur Pfeiler, zwischen denen die Imaginationen
6 aufgespannt werden. Dies kenntlich zu machen, darin liegt ihre Qualität.
27    Kaum ein Gesicht ist hierzulande von so vielen Bildern überlagert worden wie das
8 von Romy Schneider. Und von Anfang an ging es für sie darum, dabei ihr Gesicht zu
9 wahren, nicht vor der Öffentlichkeit, sondern vor sich selbst. Sissi, Blatzheim, Delon,
10 Meyen, Biasini, David: Ihre Tragödie hatte viele Namen, daran wurde ein Leben
11 aufgehängt, unter diesen Chiffren wurde es geradezu begraben. Auf musterhafte Weise
12 vollzog sich ihr Schicksal, alles schien ins Bild zu passen. Verräterin und Verlorene,
13 Überläuferin und Überkandidelte, jede erdenkliche Rolle wurde ihr auf den Leib
14 geschrieben, jede Schablone mußte passen. An Romy Schneider wurde der öffentliche
15 Blick exekutiert. Und das wahrhaft Tragische daran war, daß dabei das Leben selbst zum
16 Korsett wurde, das ihr nach und nach den Atem abschnürte.
317    Michael Jürgs hat versucht, ein paar Knoten zu lösen, ein paar Dinge aus dem
18 Dunkel der Gerüchte ins rechte Licht zu rücken. Das Leben hat er durch einen fiktiven
19 Erzählstrang gegliedert, in dem eine Recherche nach dem Tod geschildert wird . Dazu hat
20 der ehemalige Chefredakteur und Reporter des Stern die zwei Seelen in seiner Brust
21 aufgespalten in einen Chefredakteur und eine Reporterin, die für eine Frankfurter
22 Illustrierte an einer Geschichte über den Fall Romy Schneider arbeiten. Das ist schön
23 gedacht, aber eitel ausgeführt. Es wäre interessanter gewesen, wenn er in seinen Fiktionen
24 über sich selbst hinaus auf die Figuren gesehen hätte, die Romy Schneider gespielt hat.
25 Immerhin schafft es diese Konstruktion, die Emotionen weitgehend abzuspalten, und
26 damit den Blick für Dinge zu öffnen, die darunter zumeist begraben wurden.
427    Der Titel des Buches belegt schon, daß Jürgs an Romy Schneider kein Exempel
28 statuieren will, sondern am Fall exemplifizieren will, was dieses Leben so schwer gemacht
29 hat. Der Fall Romy Schneider ist ein freundschaftliches Buch geworden, aufrichtiger und
30 interessanter als die meisten Biographien, die bei uns über Schauspieler geschrieben
31 werden. Es schließt mit einem Zitat von Max Reinhardt, das zusammenfaßt, worum es
32 geht: »Aber der Weg zu uns selbst und zu unseren Nächsten ist sternenweit.«

Süddeutsche Zeitung, 11.112.01.1992