1 | 1 | | Das wirkliche Leben ist eine Erfindung, die Wahrheit liegt in der Fiktion. Die |
| 2 | | schönsten Biographien leben von dieser Einsicht: Norman Mailer über Marilyn Monroe, |
| 3 | | David Thomson über Warren Beatty. Sie haben erkannt, daß Schauspieler nicht von ihrem |
| 4 | | Image zu trennen sind, und sie leben davon, daß sie die Bilder, die man sich macht, ernst |
| 5 | | nehmen. Die Fakten eines Lebens sind nur Pfeiler, zwischen denen die Imaginationen |
| 6 | | aufgespannt werden. Dies kenntlich zu machen, darin liegt ihre Qualität. |
2 | 7 | | Kaum ein Gesicht ist hierzulande von so vielen Bildern überlagert worden wie das |
| 8 | | von Romy Schneider. Und von Anfang an ging es für sie darum, dabei ihr Gesicht zu |
| 9 | | wahren, nicht vor der Öffentlichkeit, sondern vor sich selbst. Sissi, Blatzheim, Delon, |
| 10 | | Meyen, Biasini, David: Ihre Tragödie hatte viele Namen, daran wurde ein Leben |
| 11 | | aufgehängt, unter diesen Chiffren wurde es geradezu begraben. Auf musterhafte Weise |
| 12 | | vollzog sich ihr Schicksal, alles schien ins Bild zu passen. Verräterin und Verlorene, |
| 13 | | Überläuferin und Überkandidelte, jede erdenkliche Rolle wurde ihr auf den Leib |
| 14 | | geschrieben, jede Schablone mußte passen. An Romy Schneider wurde der öffentliche |
| 15 | | Blick exekutiert. Und das wahrhaft Tragische daran war, daß dabei das Leben selbst zum |
| 16 | | Korsett wurde, das ihr nach und nach den Atem abschnürte. |
3 | 17 | | Michael Jürgs hat versucht, ein paar Knoten zu lösen, ein paar Dinge aus dem |
| 18 | | Dunkel der Gerüchte ins rechte Licht zu rücken. Das Leben hat er durch einen fiktiven |
| 19 | | Erzählstrang gegliedert, in dem eine Recherche nach dem Tod geschildert wird . Dazu hat |
| 20 | | der ehemalige Chefredakteur und Reporter des Stern die zwei Seelen in seiner Brust |
| 21 | | aufgespalten in einen Chefredakteur und eine Reporterin, die für eine Frankfurter |
| 22 | | Illustrierte an einer Geschichte über den Fall Romy Schneider arbeiten. Das ist schön |
| 23 | | gedacht, aber eitel ausgeführt. Es wäre interessanter gewesen, wenn er in seinen Fiktionen |
| 24 | | über sich selbst hinaus auf die Figuren gesehen hätte, die Romy Schneider gespielt hat. |
| 25 | | Immerhin schafft es diese Konstruktion, die Emotionen weitgehend abzuspalten, und |
| 26 | | damit den Blick für Dinge zu öffnen, die darunter zumeist begraben wurden. |
4 | 27 | | Der Titel des Buches belegt schon, daß Jürgs an Romy Schneider kein Exempel |
| 28 | | statuieren will, sondern am Fall exemplifizieren will, was dieses Leben so schwer gemacht |
| 29 | | hat. Der Fall Romy Schneider ist ein freundschaftliches Buch geworden, aufrichtiger und |
| 30 | | interessanter als die meisten Biographien, die bei uns über Schauspieler geschrieben |
| 31 | | werden. Es schließt mit einem Zitat von Max Reinhardt, das zusammenfaßt, worum es |
| 32 | | geht: »Aber der Weg zu uns selbst und zu unseren Nächsten ist sternenweit.« |