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Chance fur die Natur

Der landwirtschaftliche Strukturwandel als Chance für die Natur

11    Wie eine umweltverträglichere Landwirtschaft aus der Sicht des Natur- und
2 Landschaftsschutzes auszusehen hätte, liegt auf der Hand: Es ginge um eine
3 Extensivierung, einerseits durch zurückhaltenderen und sorgfältigeren Umgang mit
4 Dünger, Herbiziden und Pestiziden, anderseits durch Aussparen von genügend
5 naturnahen Ausgleichsflächen, die miteinander und mit den eigentlichen Schutzgebieten
6 zu vernetzen wären. So ließe sich sowohl dem um sich greifenden Artenschwund wie auch
7 dem Gestaltverlust, der schleichenden Banalisierung unserer Kulturlandschaft,
8 entgegenwirken und die Belastung der Biosphäre - und damit unserer Atemluft, des
9 Trinkwassers und der Lebensmittel- mit Schadstoffen verringern.
210    In den Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Rationalisierungsdruck im
11 Zusammenhang mit einer produktionsfördernden Subventionierungspolitik die
12 Landwirtschaft in mancher Hinsicht auf einen zunehmend umweltbelastenden Kurs
13 gebracht. Diese Entwicklung scheint laut den diese Woche publizierten Ergebnissen der
14 Landwirtschaftszählung 1990 mit beschleunigtem Bauernhofsterben ungebremst
15 weiterzugehen. Sie könnte, so wird befürchtet, demnächst kräftige zusätzliche Impulse
16 erhalten, falls wir uns unter dem Druck des Gatt" oder bei einer Angleichung an die EG-
17 Landwirtschaftspolitik veranlaßt sähen, den hohen Schutzzaun rund um unsere
18 Landwirtschaft zumindest teilweise abzureißen. In manchen Augen ist die
19 Schreckvorstellung einer Landschaft entstanden, in der es neben ein paar Biobauern und
20 vergandeten Feldern? nur noch eine geringe Zahl von Großbetrieben auf für
21 Großmaschinen besonders geeigneten Böden gibt.
322    Daß der auch innenpolitisch motivierte Strukturwandel in der Landwirtschaft für die
23 Natur mit Risiken verbunden ist, läßt sich kaum bestreiten. Es zeichnen sich indessen auch
24 Chancen ab, welche vermutlich, wenn man sie konsequent wahrnimmt, die Risiken mehr
25 als nur kompensieren. Der Wechsel von der bisherigen, Überschüsse begünstigenden
26 Subventionspolitik zu einer nicht produktionsgebundenen Unterstützung erlaubt im
27 Einklang mit dem neuen Leitbild einer multifunktionellen Landwirtschaft die gezielte
28 Förderung einer vermehrt ökologisch orientierten Produktion. Die direkte Finanzierung
29 von Leistungen, welche die Konkurrenz auf den zu liberalisierenden Agrarmärkten nicht
30 beeinflussen, zum Beispiel Flächenbeiträge allgemeiner Art oder spezifisch für die an sich
31 unrentable Bewirtschaftung von naturnahen Ausgleichsflächen, gilt im Gegensatz zur
32 indirekten Abgeltung über produktionsgebundene Beiträge als Gatt- und EG-konform.
433    Aus der Sicht des Natur- und Landschaftsschutzes ist darauf hinzuwirken, daß von
34 den Mitteln, die nach der laufenden Revision des Landwirtschafts- und des
35 Getreidegesetzes unter verschiedenen Titeln in die Landwirtschaft fließen werden, ein
36 möglichst großer Teil an ökologische Auflagen gebunden wird. Umweltpolitisch
37 progressive Landwirte wie der freisinnige Nationalrat Christian Wanner sind der Ansicht,
38 daß auf diesem Wege der sogenannten integrierten Produktion zum Durchbruch verholfen
39 werden sollte. Es wären im Sinne eines marktwirtschaftlichen Umweltschutzes Anreize zu
40 schaffen, damit das heute verfügbare beträchtliche Wissen über Wege zur Minimierung
41 der Umweltbelastung in der Landwirtschaft tatsächlich ausgeschöpft wird.

Neue Zürcher Zeitung, 27.128.7.1991