Background image

terug

Dienstpflicht fur Frauen

Dienstpflicht für Frauen nicht herkörnrnlich

11    Mit Interesse verfolge ich seit einiger Zeit die Leserbriefdebatte in der Süddeutschen
2 Zeitung über eine Dienstpflicht für Frauen. Es erstaunt mich, in welch hohem Maße die
3 Leserbriefschreiber und -schreiberinnen die verfassungsreehtliche und soziale Realität
4 ignorieren. Im einzelnen:
25    1. Artikel 12 Absatz 2 des Grundgesetzes lautet: »Niernand darf zu einer
6 bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen, für alle
7 gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.« Eine Dienstpflicht für Frauen wäre nicht
8 »herkörnmlich«. Auf den Reichsarbeitsdienst der Nationalsozialisten als Präzedenzfall
9 für die Herkömmlichkeit einer Dienstpflicht für Frauen abzustellen, sollte bereits der
10 politische Anstand verbieten, wenn man denn schon meint, sich über die wohlbegründete
11 Wertentscheidung der Väter und Mütter des Grundgesetzes hinwegsetzen zu k önnen,
312    2. Die Politiker und Politikerinnen, die eine Dienstpflicht für Frauen fordern, sind
13 alle aus dem Alter heraus, in dem sie von der Dienstpflicht selber betroffen wären.
14 Allerdings dürfte ihnen und ihrer K1ientel, der zunehmend älter werdenden Mehrheit der
15 Deutschen, billige Pflege im Alter willkommen sein. An altruistische Motive der
16 Befürworter einer Dienstpflicht mag da glauben, wer will.
417    3. Dennoch kann die Forderung nach mehr sozialem Engagement nicht von der
18 Hand gewiesen werden. Soziales Engagement ist bitter nötig. Nur : Diese Forderung ist
19 unglaubwürdig, solange sie dem einzelnen Wertentscheidungen abverlangt, die die
20 Gesamtheit nicht durch entsprechende Strukturentscheidungen in den öffentlichen
21 Haushalten sanktioniert. Der Pflegenotstand in den deutschen Krankenhäusem zum
22 Beispiel wäre nie entstanden, wenn die Krankenpflegeberufe attraktiv wären und
23 angemessen bezahlt würden. Vollends fragwürdig ist der Gedanke, Geld einzusparen,
24 indem man soziales »Engagement« auf dem Wege staatlichen Zwanges herbeiführt.
525    Insgesamt ist also Vorsicht am Platze, wenn Opferbereitschaft verlangt wird.

Carl Friedrich K.
Bonn

Süddeutsche Zeitung, 24./25.11.1990