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Bundesprasidenten

Auszüge aus einer Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker

11    Ganz gewiß ist es notwendig und richtig, daß Machtausübung unter besonderer
2 öffentlicher Aufmerksamkeit und Kontrolle steht. Der öffentliche Anteil an diesen
3 Aufgaben fällt nicht nur dem Politiker zu, sondern auch den Medien. Ihre Freiheit und
4 Unabhängigkeit ist die Grundbedingung ihrer Arbeit. Die Wahrheit ans Licht zu bringen,
5 ist ihr erklärtes Ziel, ja ihr Ethos. Ihre Aufgabe der öffentlichen Kritik ist für uns alle
6 unentbehrlich. Sie stehen in ganz besonderer Weise am Schnittpunkt von Wahrheit und
7 Freiheit.
28    Auch die Medien sind Kontrollen ausgesetzt und zwar unter anderem dadurch, daß
9 sie an einem Markt teilnehmen. Sie müssen nicht nur informieren und kritisch
10 kommentieren, sondern auch kurzweilig sein.
311    Ob gedruckt oder elektronisch, ob öffentlich-rechtlich oder privat - die Medien
12 haben ein Interesse am Absatz, an der Höhe von Auflage und Einschaltquote. Es nötigt
13 sie, ihre Aufmerksamkeit der Spannung und Unterhaltung zuzuwenden. Der
14 amerikanische Kritiker Neil Postman sagt über das Fernsehen: »Problematisch ist nicht,
15 daß es uns unterhaltsame Themen präsentiert, problematisch ist, daß es jedes Thema als
16 Unterhaltung präsentiert.«
417    Der Vorwurf ist übertrieben, aber der Hinweis ist bedeutsam. Wirklichkeit ohne
18 Neuigkeitsschlagzeile ist oft nicht unterhaltend genug . Das Wesentliche verliert leicht
19 gegenüber dem Spektakulären an Boden. Wenn alles spannend sein soll, ist
20 Nachdenklichkeit nicht gefragt. Es wird wichtiger, daß die Äußerungen »live«, als daß
21 sie durchdacht sind.
522    Medien bewegen sich oft auf einem schmalen Grat. Sie haben ein Wächteramt, und
23 wir sind alle darauf angewiesen, daß sie es wahrnehmen. Das geht nur mit einem
24 nachforschenden, aufhellenden, untersuchenden Journalismus. Sei der Eifer aber noch so
25 groß, so muß er doch die Würde des Menschen achten. Die guten Gründe, die es zum
26 Schutz der Persönlichkeit und ihrer Daten gibt, sprechen auch dafür, nicht hemmungslos
27 in die innerste Sphäre der Menschen einzudringen.
628    Die Medien sind hier nicht weniger als die Politiker auf die Maßstäbe angewiesen,
29 die ihnen die ganze Gesellschaft bietet. Wir alle gehen auf einem schmalen Grat. Wir alle
30 sind Kunden der Medien. Sie richten sich in hohem Umfang nach unserer Neugier,
31 unseren Sitten, nach dem Maß unseres menschlichen Respekts. Deshalb haben wir die
32 Medien und uns selbst zu fragen, wie es kommt, daß manches Titelblatt zum Abbild einer
33 Wirklichkeit wird, hinter der Würde und Wahrheit verblassen.
734    Wer die freien Demokratien im Spiegel der Medien verfolgt, könnte glauben, ihre
35 Geschichte der letzten Jahrzehnte sei eine einzige Kette von Skandalen. Keiner dieser
36 Skandale darf geleugnet oder leichtgenommen werden. Aus jeder Affäre müssen und
37 können wir lernen. Aber daß die Demokratie sie erzeuge oder begünstige, das sollte
38 niemand glauben. In der Demokratie fördern Öffentlichkeit und Freiheit zutage, was
39 unter anderen Systemen verborgen bleibt. Der Watergate-Skandal war wahrlich
40 abstoßend. Erstaunlich war aber nicht, daß es ihn gegeben hat, sondern wie Amerika
41 damit ehrlich umgegangen und fertig geworden ist.
842    So wie wir Menschen nun einmal sind, gerät jedes System früher oder später in die
43 Enge und wird reformbedürftig. Die einzigartige Chance, die die Freiheit als
44 Verfassungsprinzip bietet, ist die Fähigkeit zur Selbstkorrektur, zum friedlichen Wandel.
45 Deshalb ist die Demokratie jedem anderen System vorzuziehen.

Süddeutsche Zeitung, 7./8.11.1987