1 | 1 | | Ganz gewiß ist es notwendig und richtig, daß Machtausübung unter besonderer |
| 2 | | öffentlicher Aufmerksamkeit und Kontrolle steht. Der öffentliche Anteil an diesen |
| 3 | | Aufgaben fällt nicht nur dem Politiker zu, sondern auch den Medien. Ihre Freiheit und |
| 4 | | Unabhängigkeit ist die Grundbedingung ihrer Arbeit. Die Wahrheit ans Licht zu bringen, |
| 5 | | ist ihr erklärtes Ziel, ja ihr Ethos. Ihre Aufgabe der öffentlichen Kritik ist für uns alle |
| 6 | | unentbehrlich. Sie stehen in ganz besonderer Weise am Schnittpunkt von Wahrheit und |
| 7 | | Freiheit. |
2 | 8 | | Auch die Medien sind Kontrollen ausgesetzt und zwar unter anderem dadurch, daß |
| 9 | | sie an einem Markt teilnehmen. Sie müssen nicht nur informieren und kritisch |
| 10 | | kommentieren, sondern auch kurzweilig sein. |
3 | 11 | | Ob gedruckt oder elektronisch, ob öffentlich-rechtlich oder privat - die Medien |
| 12 | | haben ein Interesse am Absatz, an der Höhe von Auflage und Einschaltquote. Es nötigt |
| 13 | | sie, ihre Aufmerksamkeit der Spannung und Unterhaltung zuzuwenden. Der |
| 14 | | amerikanische Kritiker Neil Postman sagt über das Fernsehen: »Problematisch ist nicht, |
| 15 | | daß es uns unterhaltsame Themen präsentiert, problematisch ist, daß es jedes Thema als |
| 16 | | Unterhaltung präsentiert.« |
4 | 17 | | Der Vorwurf ist übertrieben, aber der Hinweis ist bedeutsam. Wirklichkeit ohne |
| 18 | | Neuigkeitsschlagzeile ist oft nicht unterhaltend genug . Das Wesentliche verliert leicht |
| 19 | | gegenüber dem Spektakulären an Boden. Wenn alles spannend sein soll, ist |
| 20 | | Nachdenklichkeit nicht gefragt. Es wird wichtiger, daß die Äußerungen »live«, als daß |
| 21 | | sie durchdacht sind. |
5 | 22 | | Medien bewegen sich oft auf einem schmalen Grat. Sie haben ein Wächteramt, und |
| 23 | | wir sind alle darauf angewiesen, daß sie es wahrnehmen. Das geht nur mit einem |
| 24 | | nachforschenden, aufhellenden, untersuchenden Journalismus. Sei der Eifer aber noch so |
| 25 | | groß, so muß er doch die Würde des Menschen achten. Die guten Gründe, die es zum |
| 26 | | Schutz der Persönlichkeit und ihrer Daten gibt, sprechen auch dafür, nicht hemmungslos |
| 27 | | in die innerste Sphäre der Menschen einzudringen. |
6 | 28 | | Die Medien sind hier nicht weniger als die Politiker auf die Maßstäbe angewiesen, |
| 29 | | die ihnen die ganze Gesellschaft bietet. Wir alle gehen auf einem schmalen Grat. Wir alle |
| 30 | | sind Kunden der Medien. Sie richten sich in hohem Umfang nach unserer Neugier, |
| 31 | | unseren Sitten, nach dem Maß unseres menschlichen Respekts. Deshalb haben wir die |
| 32 | | Medien und uns selbst zu fragen, wie es kommt, daß manches Titelblatt zum Abbild einer |
| 33 | | Wirklichkeit wird, hinter der Würde und Wahrheit verblassen. |
7 | 34 | | Wer die freien Demokratien im Spiegel der Medien verfolgt, könnte glauben, ihre |
| 35 | | Geschichte der letzten Jahrzehnte sei eine einzige Kette von Skandalen. Keiner dieser |
| 36 | | Skandale darf geleugnet oder leichtgenommen werden. Aus jeder Affäre müssen und |
| 37 | | können wir lernen. Aber daß die Demokratie sie erzeuge oder begünstige, das sollte |
| 38 | | niemand glauben. In der Demokratie fördern Öffentlichkeit und Freiheit zutage, was |
| 39 | | unter anderen Systemen verborgen bleibt. Der Watergate-Skandal war wahrlich |
| 40 | | abstoßend. Erstaunlich war aber nicht, daß es ihn gegeben hat, sondern wie Amerika |
| 41 | | damit ehrlich umgegangen und fertig geworden ist. |
8 | 42 | | So wie wir Menschen nun einmal sind, gerät jedes System früher oder später in die |
| 43 | | Enge und wird reformbedürftig. Die einzigartige Chance, die die Freiheit als |
| 44 | | Verfassungsprinzip bietet, ist die Fähigkeit zur Selbstkorrektur, zum friedlichen Wandel. |
| 45 | | Deshalb ist die Demokratie jedem anderen System vorzuziehen. |