Am Radio gehört
1 | 1 | Das Zeitalter, in dem wir leben, heißt es, sei eines des Umbruchs. Alles ist oder | |
2 | wird in absehbarer Zeit anders, als es bisher war. Im Bereich der Medien hat eine | ||
3 | Verlagerung der Schwergewichte vom Radio zum Fernsehen hin stattgefunden; zur | ||
4 | Reflexion ermunternde Information soll zunehmend einem einlullenden, unterhaltenden | ||
5 | Einheitsbrei Platz machen. Die Droge im Wohnzimmer, wie das Fernsehen gerne genannt | ||
6 | wird, bietet in Zukunft wohl genügend Stoff zum Forschen und Spekulieren. Um die | ||
7 | möglichen Gefahren des Phänomens Fernsehen aufzuzeigen, bieten sich die nach dem | ||
8 | Prinzip der »Seifenoper« funktionierenden Unterhaltungsserien als Beispiel geradezu an. | ||
2 | 9 | Den eineinhalbstündigen Beitrag »Von Dallas in die 'Schwarzwaldklinik'« in der | |
10 | Sendung »z.B.« hat Hans-Peter von Peschke dreien der erfolgreichsten Serien dieser Art | ||
11 | gewidmet; er hat versucht, am Medium Radio die zum Erfolg führenden Grundmuster zu | ||
12 | analysieren, zu interpretieren und zu kritisieren. Von Peschke war sich offensichtlich der | ||
13 | Schwierigkeit seines Unterfangens bewußt, mußte er doch hier damit rechnen, nicht die | ||
14 | gleichen Rezipienten zu erreichen, die auch die von ihm besprochenen Fernsehserien | ||
15 | mehr oder weniger regelmäßig mitverfolgen. Richtig war demnach, daß er vorab in einer | ||
16 | Einleitung relativ weit ausholte und die Entwicklung dieser Serien vom spezifischen | ||
17 | Gefäß fürs Vorabendprogramm zum eigentlichen Hauptattraktionspunkt im | ||
18 | Hauptabendprogramm aufzeigte. | ||
3 | 19 | Von Peschkes Versuch einer Annäherung an das Genre der bereits in den dreißiger | |
20 | Jahren entstandenen und jetzt eine so ausgeprägte Renaissance erlebenden Soap opera | ||
21 | gliederte sich in sechs Kapitel. Der Hörer wurde systematisch in die Materie eingeführt, | ||
22 | über Entstehung und Grundmuster aufgeklärt. Wichtig in diesem Zusammenhang ist | ||
23 | besonders der formale Aspekt. So sind die einzelnen Folgen der erfolgreichen | ||
24 | amerikanischen Serien »Dallas« und »Denver-Clan«, letztere heißt im Original »Dynasty«, | ||
25 | ganz deutlich auf die gut zwanzig kurzen Werbeeinschübe hin angelegt, die dem | ||
26 | deutschsprachigen Publikum einstweilen ja noch erspart bleiben. In einem | ||
27 | rekonstruierten Beispiel wurde dem Hörer demonstriert, wie sich eine »Denver« -Folge | ||
28 | mit Unterbrüchen anhören würde, welche Stellen von der Dramaturgie bereits im voraus | ||
29 | als Werbeunterbruch konzipiert sind. | ||
4 | 30 | Was im ersten Augenblick bei dieser Radiosendung als Nachteil erscheinen konnte, | |
31 | der Verzicht nämlich auf das Bild, erwies sich im nachhinein als Vorteil. Die Plattheit | ||
32 | und das einfache Funktionsmuster der Dialoge kamen so wesentlich stärker zum Tragen, | ||
33 | als wenn sich dazu noch der optische Anreiz gesellt hätte. Ausführlich ging von Peschke | ||
34 | auch auf den Zusammenhang von Serien und Werbung ein. Ausgehend von dem | ||
35 | amerikanischen Modell, läßt sich bei uns in Europa eine durchaus ähnliche Entwicklung | ||
36 | beobachten: Das von der Werbebranche initiierte Einschaltquoten-Denken hat auch bei | ||
37 | uns Fuß gefaßt, und wie in den Vereinigten Staaten - das ZDF (1) hat dies bereits unter | ||
38 | Beweis gestellt - beginnt man auch in unseren Breitengraden die Produktionen nicht | ||
39 | mehr nach inhaltlichen Kriterien auszurichten, sondern nach möglichst hohen | ||
40 | Einschaltquoten zu schielen. | ||
5 | 41 | Was »Von Dallas in die 'Schwarzwaldklinik'« in radiophonischer Form offenlegte, | |
42 | ist, daß die vermeintliche Droge Fernsehen erst durch die mehr oder weniger blinde | ||
43 | Übernahme einer jenseits des Atlantiks kommerziell äußerst erfolgreichen Denkweise zur | ||
44 | wahren Droge zu werde n droht. Die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Illusion | ||
45 | fällt immer schwerer, die Identifikation der Massen mit den Brinkmanns (2) und Konsorten | ||
46 | wird zur Perfektion getrieben. Wen wundert's, daß sich jene Ausflügler, die Elisabeth | ||
47 | Zäch mit dem Mikrophon begleitete, nach ihrem Besuch der wirklichen | ||
48 | Schwarzwaldklinik im Glottertal recht enttäuscht zeigten? Es ist halt doch alles Schaum, | ||
49 | Illusion. Und gefährlich wird es für eine Kultur dann, wenn solche Illusionen eine derart | ||
50 | große Rolle in unserem Alltag einnehmen, sie zur neu en Realität heraufstilisiert werden. |