1 | 1 | | Zur Bejahung des menschlichen Lebens als Ganzheit gehört die Einbeziehung auch |
| 2 | | von Krankheit und Tod, Enttäuschungen und seelischem Leid. Es ist geradezu ein |
| 3 | | Charakteristikum der modernen Industriegesellschaft, daß sie - in ähnlicher Weise, wie |
| 4 | | sie gegen den Rhythmus des Lebens angeht - auch die negativen Erscheinungen des |
| 5 | | Lebens zu übersehen und von sich abzuschieben versucht. Auch dies gehört wohl zu |
| 6 | | jenem Denken in Teilbereichen, in Aufspaltung und Spezialistentum, das der Mensch im |
| 7 | | Umgang mit der Technik und modernen Wirtschaft, mit Analysieren und Rationalisieren |
| 8 | | gelernt hat und von dem er nun glaubt, daß es sich auch auf die Gebiete des Lebendigen |
| 9 | | und Menschlichen übertragen ließe, Was sich aber in den Bereichen des Technischen und |
| 10 | | Wirtschaftlichen als möglich, ja in ho hem Maß als erfolgreich erwiesen hat, läßt sich |
| 11 | | schlechterdings nicht auf die Bereiche des Lebendigen, noch weniger des Menschlichen |
| 12 | | übertragen, weil es einfach deren Wesen widerspricht. Dies wollen die Menschen der |
| 13 | | Industriegesellschaft vorläufig noch nicht glauben, und es scheint ihnen sehr schwer zu |
| 14 | | fallen, diesen höchst gefährlichen, ja tödlichen Irrglauben aufzugeben. |
2 | 15 | | Schon das Kleinkind erfährt schmerzhafte Einengungen und Enttäuschungen. Es |
| 16 | | will und muß sich seinen Platz in der Familie, unter den Geschwistern und |
| 17 | | Spielkameraden erobern und ihn behaupten; dabei erlebt es, daß es nicht alles, schon gar |
| 18 | | nicht alles allein haben kann, alle Süßigkeiten, alle Spielsachen, daß man nicht immer |
| 19 | | und überall der Erste sein kann, nachdem es jeweils nur einen Ersten und viele |
| 20 | | Nicht-Erste gibt. |