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Das Leben als Ganzheit

Das Leben als Ganzheit

11    Zur Bejahung des menschlichen Lebens als Ganzheit gehört die Einbeziehung auch
2 von Krankheit und Tod, Enttäuschungen und seelischem Leid. Es ist geradezu ein
3 Charakteristikum der modernen Industriegesellschaft, daß sie - in ähnlicher Weise, wie
4 sie gegen den Rhythmus des Lebens angeht - auch die negativen Erscheinungen des
5 Lebens zu übersehen und von sich abzuschieben versucht. Auch dies gehört wohl zu
6 jenem Denken in Teilbereichen, in Aufspaltung und Spezialistentum, das der Mensch im
7 Umgang mit der Technik und modernen Wirtschaft, mit Analysieren und Rationalisieren
8 gelernt hat und von dem er nun glaubt, daß es sich auch auf die Gebiete des Lebendigen
9 und Menschlichen übertragen ließe, Was sich aber in den Bereichen des Technischen und
10 Wirtschaftlichen als möglich, ja in ho hem Maß als erfolgreich erwiesen hat, läßt sich
11 schlechterdings nicht auf die Bereiche des Lebendigen, noch weniger des Menschlichen
12 übertragen, weil es einfach deren Wesen widerspricht. Dies wollen die Menschen der
13 Industriegesellschaft vorläufig noch nicht glauben, und es scheint ihnen sehr schwer zu
14 fallen, diesen höchst gefährlichen, ja tödlichen Irrglauben aufzugeben.
215    Schon das Kleinkind erfährt schmerzhafte Einengungen und Enttäuschungen. Es
16 will und muß sich seinen Platz in der Familie, unter den Geschwistern und
17 Spielkameraden erobern und ihn behaupten; dabei erlebt es, daß es nicht alles, schon gar
18 nicht alles allein haben kann, alle Süßigkeiten, alle Spielsachen, daß man nicht immer
19 und überall der Erste sein kann, nachdem es jeweils nur einen Ersten und viele
20 Nicht-Erste gibt.
Martin Keilhacker in: Erziehung und Bildung in der Industriegesellschaft