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Ein fauler Kompromiß für die Natur

Ein fauler Kompromiß für die Natur

11    Vor der Wahl 1983 schrieb Innenminister Zimmermann zwei Sätze, die er sich
2 heute, nach dem unglücklichen Katalysator-Kompromiß der Europäischen Gemeinschaft,
3 noch einmal anschauen sollte: »Als meine vordringliche Aufgabe sehe ich an, den
4 Umweltschutz im Bewußtsein der Menschen zu verankern. Umweltschutz ist nach der
5 Sicherung des Friedens das Wichtigste überhaupt.« An der Richtigkeit des Ziels hat sich
6 nichts geändert. Verlorengegangen scheint indes der Wille oder die Fähigkeit - vielleicht
7 sogar beides -, es zu verwirklichen.
28    Zugegeben: Die Luxemburger Einigung über das abgasarme Auto ist besser, als
9 wenn nichts geschehen wäre. Zugegeben auch, daß in der verfahrenen Situation wohl
10 nicht mehr herauszuholen war. Aber richtig ist leider ebenfalls, daß die ausgehandelte
11 Lösung für den bedrohten Wald zu wenig und dies zu spät bringt. Von einer spürbaren
12 Senkung der Belastung kann keine Rede sein, ein wirksamer und notwendiger Schutz der
13 Umwelt wird nicht erreicht, allenfalls die Zunahme der Verschmutzung gebremst. Und
14 weil keine Regierung sich in absehbarer Zeit auf Nachbesserungen einlassen wird, ist
15 eine wichtige Chance vertan, vielleicht die letzte für den Wald.
316    Noch in anderer Hinsicht stiftet der Kompromiß Schaden. Die voreilige Regelung
17 steuerlicher Anreize für saubere Autos belohnt den, der sich mit wenig Abgasminderung
18 zufriedengibt, und bestraft im Vergleich dazu denjenigen, der sich ein umweltfreundliches
19 Modell anschafft. Die gute Absicht verkehrt sich in ihr Gegenteil. Umweltbewußtsein
20 läßt sich mit solchen Maßnahmen nicht erzeugen.
421    Die Neigung in Bonn ist groß, das Ärgernis dem Widerstreben der europäischen
22 Partner anzulasten, die in der Tat mit Rücksicht auf ihre Autoindustrien die von
23 Zimmermann gewünschten strengen Abgas-Grenzwerte verhindert haben. Nur hätte das
24 den Innenminister nicht überraschen dürfen; er hatte es wohl geahnt, als er noch in
25 diesem Jahr drohte, notfalls werde Bonn im Alleingang das Katalysator-Auto
26 durchsetzen. Nach dieser forschen Ankündigung konnte er sich über das hartnäckige
27 Nein der Partner erst recht nicht wundern; für den Fehler, sie erst herauszufordern, dann
28 aber den Alleingang doch nicht riskieren zu wollen, zahlte Bonn vorige Woche in
29 Luxemburg mit einem schmählichen Rückzug.
530    Die Niederlage ist leider symptomatisch nicht nur für die EG, sondern auch für
31 diese Regierung. Gewiß, in der Politik muß hoch gezielt werden, um niedriger zu treffen.
32 Aber was zur Taktik beim Aushandeln des unvermeidlichen Kompromisses gehören
33 sollte, wurde von Bonn in großmäuliger Effekthascherei als unveräußerliches Ziel
34 verkündet. Statt erst auszuloten, was machbar und durchzusetzen war, wurde der Wunsch
35 für die Wirklichkeit genommen. So entstand wieder einmal der fatale Eindruck, als sei
36 die Ankündigung das Ergebnis. Nachfolgende Korrekturen wurden unvermeidlich; und
37 zu dem nicht hilfreichen Eindruck der Schwäche gesellte sich die Verärgerung über einen
38 Zick-Zack-Kurs, der vernünftige Planung erschwert.
639    Daß Zimmermann den Umweltschutz verbessern will, bestreiten selbst seine
40 innenpolitischen Gegner nicht; daß er aber weiß, wie man es praktisch anstellen soll,
41 bezweifeln inzwischen selbst seine Parteifreunde.
742    Das liegt nicht nur an einem Kanzler, der keine Prioritäten zu setzen und
43 durchzusetzen vermag - ein Vorwurf, den Zimmermann selbst in aller Öffentlichkeit
44 erhoben hat. Es hat sehr viel mit einer gewandelten Stimmung unter den
45 Verantwortlichen zu tun. Man will sich über das Waldsterben nicht mehr aufregen. Die
46 Auswirkungen auf die Umwelt werden zwar formell als Kriterium für Entscheidungen
47 akzeptiert, aber sie haben kein eigenes Gewicht mehr. In den immer noch gift- und
48 sottisenreichen (1) Ökologie-Debatten des Bundestages überläßt die Koalition das Feld den
49 engagierten, aber erfolglosen Grünen, als könne mit den Neulingen auch ein schwieriges
50 und an Fallstricken reiches Thema verschwinden. Seit mit den Niederlagen der Grünen
51 der öffentliche Druck nachgelassen hat, herrscht wieder der irrige Optimismus vor, die
52 Natur habe noch viel Geduld. Eine an den Bedürfnissen von Natur und Menschen
53 orientierte Wende zu einer ökologischen Politik ist in Bonn nur mehr ein Thema für
54 Lippenbekenntnisse.
noot 1
die Sottise: Dummheit, dümmlich freche Rede

Die Zeit, 5.7.1985