1 | 1 | | Mit den sich wandelnden Wertvorstellungen in der Gesellschaft der Bundesrepublik |
| 2 | | befaßte sich die Soziologin Prof. Dr. Helge Pross. In den Jahren nach Kriegsende waren |
| 3 | | nach den Worten der Referentin alle jene Orientierungen lebendig, die das Kaiserreich, |
| 4 | | die Weimar er Republik und das Dritte Reich überlebt hatten. Unterordnung der |
| 5 | | persönlichen Bedürfnisse für eine höhere Sache, Bejahung des Prinzips von Anweisung |
| 6 | | und Gehorsam, Anerkenntnis der Ordnung als autoritär hergestellter Regelmäßigkeit das |
| 7 | | waren die dominierenden Wertvorstellungen. Heute dagegen rangieren Ehe und |
| 8 | | Familie, soziale Sicherheit, ein hoher materieller Standard, ein befriedigender Beruf, |
| 9 | | reichlich Freizeit und persönliche Unabhängigkeit ganz oben. Ordnung und Disziplin |
| 10 | | werden zwar grundsätzlich weiter anerkannt, jedoch nicht mehr als Wert an sich, sondern |
| 11 | | als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele. |
2 | 12 | | Diese Orientierungen gelten nach Frau Pross in etwas abgemilderter Form auch für |
| 13 | | das Management. Da die Amtsrealität von ihnen jedoch Dauerkonzentration, hohen |
| 14 | | Zeitaufwand, wenig Privatheit, ständige Selbstdisziplin und Konfliktbewältigung verlangt, |
| 15 | | sehen sich Führungskräfte einem größeren Zwiespalt ausgesetzt als ihre Mitmenschen. |
| 16 | | Dies bleibt für die Gesellschaft indessen ohne ernsthafte Konsequenzen, solange die mit |
| 17 | | solchen Position en verbundenen materiellen Kompensationen und immateriellen |
| 18 | | Entschädigungen ausreichen, um die so in Kauf zu nehmenden Nachteile aufzuwiegen. |
| 19 | | Daß dies nach wie vor so ist, folgert Frau Pross aus der Tatsache, daß |
| 20 | | Führungspositionen nach wie vor begehrt sind. |
3 | 21 | | Keine historische Periode hat den Menschen seelisch so zermürbt wie die |
| 22 | | Gegen wart mit ihrem Inferno der Technik. Dies ist nach Ansicht des Physiologen Prof. |
| 23 | | Dr. Hans Schäfer die Ursache für die mannigfachen Zivilisationskrankheiten unserer |
| 24 | | Tage. Was den Men sch en heute schädigt, ist vor allem das Auseinanderklaffen von |
| 25 | | biologischem Ziel und kulturellem Verhalten. Unsere Gefühle sind zwar nach wie vor der |
| 26 | | Umwelt angepaßt, die Tabus gesellschaftlichen Verhaltens verbieten aber entsprechende |
| 27 | | Reaktion en. Schäfer faßte dies in einem Satz zusammen: »Kultur ist antibiologische |
| 28 | | Haltung.« Unter diesen Bedingungen ruft Kultur Krankheiten hervor, die sogar zum Tod |
| 29 | | führen können. Das Heil des Menschen, so Schäfer, liegt in einer inneren Haltung, die zu |
| 30 | | befolgen er immer mehr verlernt hat. Als Rezept gegen solche Krankheiten bot der |
| 31 | | Referent an, Hoffnung für alle zu schaffen und an die Stelle der Aggression das |
| 32 | | Verständnis und die Lieb e zum Mitmenschen zu setzen. |
4 | 33 | | Hart mit den Managern ins Gericht ging Hans Pestalozzi, ehedem selbst |
| 34 | | Top-Manager im Schweizer Migros-Konzern. Ein er seiner Hauptkritikpunkte ist die |
| 35 | | Doppelzüngigkeit, mit der die Wirtschaft heutzutage der Gesellschaft gegenübertritt. |
| 36 | | Speziell für die Führungskräfte ergibt sich daraus die schizophrene Situation, daß sie in |
| 37 | | ihren offiziellen Funktionen genau dem zuwider handeln müssen, was sie persönlich für |
| 38 | | wünschenswert halten. |