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Sind Manager besondere Menschen?

Sind Manager besondere Menschen?

Mit der Persönlichkeitsstruktur des Managers und seinen Beziehungen zur Umwelt befaßte sich eine Forumsveranstaltung der Deutschen Leasing AG in Frankfurt. Unter dem Titel »Mensch oder Manager« wurden Probleme von Führungskräften diskutiert.

11    Mit den sich wandelnden Wertvorstellungen in der Gesellschaft der Bundesrepublik
2 befaßte sich die Soziologin Prof. Dr. Helge Pross. In den Jahren nach Kriegsende waren
3 nach den Worten der Referentin alle jene Orientierungen lebendig, die das Kaiserreich,
4 die Weimar er Republik und das Dritte Reich überlebt hatten. Unterordnung der
5 persönlichen Bedürfnisse für eine höhere Sache, Bejahung des Prinzips von Anweisung
6 und Gehorsam, Anerkenntnis der Ordnung als autoritär hergestellter Regelmäßigkeit das
7 waren die dominierenden Wertvorstellungen. Heute dagegen rangieren Ehe und
8 Familie, soziale Sicherheit, ein hoher materieller Standard, ein befriedigender Beruf,
9 reichlich Freizeit und persönliche Unabhängigkeit ganz oben. Ordnung und Disziplin
10 werden zwar grundsätzlich weiter anerkannt, jedoch nicht mehr als Wert an sich, sondern
11 als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele.
212    Diese Orientierungen gelten nach Frau Pross in etwas abgemilderter Form auch für
13 das Management. Da die Amtsrealität von ihnen jedoch Dauerkonzentration, hohen
14 Zeitaufwand, wenig Privatheit, ständige Selbstdisziplin und Konfliktbewältigung verlangt,
15 sehen sich Führungskräfte einem größeren Zwiespalt ausgesetzt als ihre Mitmenschen.
16 Dies bleibt für die Gesellschaft indessen ohne ernsthafte Konsequenzen, solange die mit
17 solchen Position en verbundenen materiellen Kompensationen und immateriellen
18 Entschädigungen ausreichen, um die so in Kauf zu nehmenden Nachteile aufzuwiegen.
19 Daß dies nach wie vor so ist, folgert Frau Pross aus der Tatsache, daß
20 Führungspositionen nach wie vor begehrt sind.
321    Keine historische Periode hat den Menschen seelisch so zermürbt wie die
22 Gegen wart mit ihrem Inferno der Technik. Dies ist nach Ansicht des Physiologen Prof.
23 Dr. Hans Schäfer die Ursache für die mannigfachen Zivilisationskrankheiten unserer
24 Tage. Was den Men sch en heute schädigt, ist vor allem das Auseinanderklaffen von
25 biologischem Ziel und kulturellem Verhalten. Unsere Gefühle sind zwar nach wie vor der
26 Umwelt angepaßt, die Tabus gesellschaftlichen Verhaltens verbieten aber entsprechende
27 Reaktion en. Schäfer faßte dies in einem Satz zusammen: »Kultur ist antibiologische
28 Haltung.« Unter diesen Bedingungen ruft Kultur Krankheiten hervor, die sogar zum Tod
29 führen können. Das Heil des Menschen, so Schäfer, liegt in einer inneren Haltung, die zu
30 befolgen er immer mehr verlernt hat. Als Rezept gegen solche Krankheiten bot der
31 Referent an, Hoffnung für alle zu schaffen und an die Stelle der Aggression das
32 Verständnis und die Lieb e zum Mitmenschen zu setzen.
433    Hart mit den Managern ins Gericht ging Hans Pestalozzi, ehedem selbst
34 Top-Manager im Schweizer Migros-Konzern. Ein er seiner Hauptkritikpunkte ist die
35 Doppelzüngigkeit, mit der die Wirtschaft heutzutage der Gesellschaft gegenübertritt.
36 Speziell für die Führungskräfte ergibt sich daraus die schizophrene Situation, daß sie in
37 ihren offiziellen Funktionen genau dem zuwider handeln müssen, was sie persönlich für
38 wünschenswert halten.
Süddeutsche Zeitung. 19.11.1982