1 | 1 | | DaG etwas Kitsch sei, qualifiziert nicht nur ein gestaltetes Objekt, es bewertet vor |
| 2 | | allem auch seinen Schöpfer und seinen Benutzer. Dem Kit sch haftet weit stärker al s |
| 3 | | anderen geschmacklichen Gesichtspunkten wie etwa der Mode ein soziales Stigma an. |
| 4 | | Der vorliegende Band kann deshalb konsequent bei der Definition den meist fruchtlosen |
| 5 | | ästhetischen Streit vermeiden und die Indizien bei den sozialen und politischen |
| 6 | | Bedingungen sammeln. Der Herausgeber selbst bringt den Kitsch auf den sachlichen |
| 7 | | Punkt, wenn er das Wort herleitet vom schnellen Malen der Schwabinger Künstler urn |
| 8 | | 1880 und von deren ebenso schnellem und billigem Verkaufen, dem Verkitschen. Damit |
| 9 | | wäre die Herkunft des Begriffs klar, und die ursprüngliche Bedeutung als Kunstersatz |
| 10 | | auf der Basis der Massen- oder Serienherstellung ist noch heute gültig. |
2 | 11 | | Differenzen über die Zuordnung sind damit nicht vom Tisch. Zudem wird man die |
| 12 | | wohlfeile Ersatzbefriedigung nicht pauschal ablehnen können, solange echte Kunst |
| 13 | | schon aus ökonomischen Gründen nicht jedem zugänglich sein kann. So stellt die |
| 14 | | Etikettierung des Kitschs als Trophäe des kleinen Mannes, wie sie Harry Pross am |
| 15 | | Beispiel der Souvenirs notiert, natürlich eine Abwertung dar. Zugleich aber wird die |
| 16 | | Notwendigkeit solcher an die Umwelt angepaßten Seelentröster deutlich. Partei ergreift |
| 17 | | da Philipp Wambolt in seinem Beitrag, wenn er die Bilder vom röhrenden Hirsch oder |
| 18 | | die zu groû geratenen Sessel in der Etagenwohnung als Protest gegen die Enge der |
| 19 | | Lebensverhältnisse wertet. |
3 | 20 | | Ist der Kitsch in der gestalteten Umwelt - in der Kunst wie im Produktdesign und |
| 21 | | in der Architektur - offenbar, wird seine Präsenz in der Sprache und im öffentlichen |
| 22 | | Ritual kaum bewuût wahrgenommen. Der Kommunikation durch gefällige oder |
| 23 | | imponierende Wendungen entspricht die Unehrlichkeit des Pathos in Ansprachen und |
| 24 | | Verlautbarungen. |
4 | 25 | | Einbezogen in solche Rituale wird das Publikum durch gelenkte Massenerlebnisse. |
| 26 | | Mit der Vermittlung eines Gemeinschaftsgefühls wird der Mensch für eine Sache |
| 27 | | aktiviert, die nicht unbedingt die seine ist, während seine Emotionen für die gemeinsame |
| 28 | | Sache mobilisiert und ihren natürlichen Bereichen entfremdet werden. DaG diese |
| 29 | | Lenkungsmechanismen auch in den Demokratien gebräuchlich sind, wird von Michael |
| 30 | | Hofmann am Beispiel von Flaggenzeremonien und sportlichen Großveranstaltungen |
| 31 | | belegt. |
5 | 32 | | Die anbiedernde' Anpassung an vermeintliche Markterfordernisse inspiriert die |
| 33 | | Wirtschaft und deren Produktgestalter zu ihren geschmacklichen Entgleisungen, so stellt |
| 34 | | Jan Kotik in seinem Aufsatz »Kunst, Kitsch und Design « fest. Unter dem Zwang zu |
| 35 | | überregionaler Distribution ersetzen sie originäre Stilelemente durch einen Einheitsstil, |
| 36 | | Das »einfache Volk« hat die stereotypen Raster aus Symbolen und Motiven nicht |
| 37 | | erfunden, wie die Qualität der Bauernkunst belegt, sondern eine elitäre Kreativen-Kaste. |
| 38 | | Kotik wirft den Absatzplanern und ihren Designern überheblichkeit gegenüber den |
| 39 | | Nutzern ihrer Produkte vor . Würden sie sich mit ihrer »Zielgrup pe« identifizieren, statt |
| 40 | | sich über ihr zu wähnen, so wie ein Autor auch der potentielle Leser seines Buchs sein |
| 41 | | sollte, würden sie mit ihrem Engagement dem Produkt auch eine ehrliche Optik geben. |
6 | 42 | | Die Entscheidung zwischen Kitsch und Kunst wird gewiß auch von einer Diktatur |
| 43 | | des guten Geschmacks mitgetragen. Wer sich dagegen auflehnt, riskiert Imageverlust. |
| 44 | | Und dass diese Entscheidung nicht allein von den ästhetischen Qualitäten eines Objekts |
| 45 | | abhängt, sondern auch von seiner Herkunft und seiner Bestimmung, das macht das |
| 46 | | Phänomen Kitsch ein wenig unberechenbar. Dafür kann der Kitsch durch das sich |
| 47 | | wandeinde ästhetik-Verständnis wieder rehabilitiert werden, und die zeitliche Distanz |
| 48 | | wird den Geschmacklosigkeiten jeder Epoche zumindest das Etikett eines |
| 49 | | anbiedern zich opdringen, in 't gevlij trachten te komen, aanpappen |
| 50 | | stilgeschichtlichen Dokuments verleihen. Die ursprüngliche Verdammnis de s Jugendstil s |
| 51 | | ist längst verge ssen, die unoriginel1en Schöpfungen der Gründerze it geni eûen he ute |
| 52 | | Denkmal schutz, und auch den schwellenden Formen der fünfziger Jahre werde n nun die |
| 53 | | Ehren einer zumindest bemerkenswerten Epoche zuerkannt. |