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Rettet das Buch!

Rettet das Buch!

11    Stellen wir uns vor: In ein paar Jahren sind viele jener Bücher, die im Literaturteil
2 der Zeit besprochen werden, praktisch nicht mehr käutlich. Der lesewillige Kunde, der
3 seine Buchhandlung betritt, findet sie nicht vor und kann sie auch nicht be stellen. Was ist
4 geschehen? Seit der Durchlöcherung der Preisbindung im Buchhandel hat sich der scho n
5 zu vor bestehende Trend zu »Buch-Warenh äusern« jäh verstärkt. Die kleineren
6 Buchhandlungen haben überall aufgeben müssen ; die größeren haben ihr Sortiment
7 radikal eingeschränkt und sich ebenfalls in Supermärkte verwandelt, urn mithalten zu
8 können. Denn nach dem Verfall der Preisbindung war die Handelsspanne der
9 Buchhändler unter dem Konkurrenzdruck gewaltig geschrumpft, und die Bücher waren
10 billiger geworden (was die ahnungslosen Kunden zunächst gefreut und sie von den
11 Buch hand lungen klassischen Typs weggeloekt hatte); jetzt ist ein Geschäft nur noch mit
12 solchen Büchern zu machen, bei denen hoher Absatz garantiert ist. Im Buch-Supermarkt
13 (in dem es , wie in jedem Supermarkt, praktisch niemanden mehr gibt, der etwas von der
14 »Ware« versteht) wird dem Kund en bedeut et , zu haben sei nur, was im Regal stehe. All
15 die anderen Bücher gibt es nur noch auf einem esoterischen Markt für Liebhaber, der von
16 ein paar Auûenseitern und über den Versand bedient wird.
217    Aber auch das nicht mehr lange. Denn nach den Buchhändlern werden immer
18 mehr Verlage in Schwierigkeiten kommen. Die groûen werden verzweifelt urn ihren
19 Anteil an dem Einheitssortiment der Supermärkte kämpfen; und da dort wegen der
20 Umsatzrentabilität nur Titel eine Chance haben, die einen be stimmten Mindestabsatz
21 erwarten lassen, konzentriert sich alles aufsolche Bücher. Kleine Verlage, die solche Titel
22 nicht produzieren können und wollen, werden verschwinden. Die großen werden Bücher
23 für den »esoterischen Markt« nur nebenher (und nur zu esoterischen Preisen) machen
24 zu Preisen von Fachverlagen. Ein Gedichtband, wenn er nicht gerade von Wolf
25 Wondratschek ist, wird 50 Mark, ein Roman, außer von Günter Grass oder Konsalik,
26 wird 100 Mark kosten. Und noch ein Stück weiter: Weil solche Preise schlief ich auch
27 einen esoterischen Markt zerstören, werden viele dieser Bücher gar nicht mehr verlegt
28 werden.
329    Wer das für ein Horror-Szenario hält, irrt. Unsere literarische Kultur hängt sehr
30 wohl an einer qu antitativ und qualitativ breiten buchhändlerischen Infrastruktur. Und
31 die hängt am festen Ladenpreis. Der feste Ladenpreis aber ist in Gefahr - durch die
32 Klage einer französischen Kette für Kulturkonsum-Artikel gegen das französische
33 Preisbindungsgesetz im Buchhandel : Preisbindungen seien mit den Römischen
34 Verträgen unvereinbar. Wie das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof ausgehe n
35 wird, ist offen. Zur Einschätzung der Lage muû man wissen, daû die EG-Kommission
36 sich stur gegen je de Preisbindung au sspricht, und daû die deutsche Seite - konkret das
37 Bundeswirtschaftsministerium - ambivalent ist: An Wettbewerbsbeschränkungen im
38 allgemeinen könnten die Deutschen am wenigsten Interesse haben.
439    Damit gerät die Sache des Buches (und der Buchhändler und der Autoren) in das
40 Geschiebe harter wirtschaftlicher Interessen und auf ein politisch-ideologisch
41 umkämpftes Terrain.
542    Volle Preisbindung besteht heute, au ûer für Pharmazeutika, nur noch für Bücher.
43 Zu Recht, meine ich , bei Büchern. Das Buch muß auch Ware sein, aber es ist nicht nur
44 Ware. Der Druck des Preiswettbewerbs würde dazu führen , daß das Buch wie ein
45 beliebiges Produkt behandelt werden muß : Man macht es und verka uft es nur, wenn
46 sicher ist , daß in je dem einzelnen Fall ein profitabler Absatz garantiert ist. Das ist bei
47 Waren im Prinzip sinnvoll: Von Rasierapparaten und Bleistiften überleben diejenigen
48 auf dem Markt, die in Qualität und Preis am gün st igsten sind. Das ist viell eicht auch noch
49 sinnvoll für Landkarten, Lexika oder Kochbücher. Aber Bücher sind ganz »individuelle
50 Angebote«, die nicht sinnvoll gegeneinander konkurrieren können - obwohl sie es
51 natürlich letztlich tun mü ssen. Letztlich begrenzen immer Absatz und Kosten jede
52 Möglichkeit, ein Buch zu produzieren oder auf Lager zu halten. Aber es muß für Bücher
53 eine erweiterte Marktchance geben; das hei ût konkret: Möglichkeit und Bereitschaft der
54 Verleger und Buchhändler, für jedes profitable Buch möglichst viele nicht
55 gewinnbringende »rnitzuschleppen«, müssen erhalten und innerhalb sinnvoller Grenzen
56 gefördert werden. Daran hängt die Breite un seres Buchangebots, daran hängt ein Stück
57 unserer Kultur.

Die Zeit, 12./0.1984