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Die Pressefreiheit ertragen

Die Pressefreiheit ertragen?

Der Schriftsteller Hans
Magnus Enzensberger
hat gesagt, die Presse-
freiheit müsse nicht nur
verteidigt, sondern leider
auch sehr oft ertragen
werden. In dieser Woche
hat es eine Reihe von
Professor sollte Tiefgang
vortäuschen; der Mann
gab die Auskunft, 3000
verschiedene Partner seien
für Homosexuelle keine
Seltenheit. Der Mode-
schöpfer Wolfgang Joop
hat in dieser Woche be-
Fällen gegeben, die zeigen, wie recht Enzens-
berger damit hat. Es gibt in dieser Branche
etliche Kameraden, denen es mindestens an
Intelligenz, wahrscheinlich aber auch an
Charakter fehlt, um den Journalismus [id:21156]
auszuüben.
Im Traunsteiner Lederhexen-Prozeß sprach
das Gericht in dieser Woche die beiden
entsetzlichen Angeklagten quasi frei; es sah
den Nachweis nicht erbracht, daß sie
tatsächlich über On-line-Dienste Kinder an
Sex- und Folterkunden verkaufen wollten. Die
Münchener Bild-Zeitung brachte dazu am
Mittwoch die Schlagzeile: „Hängt die Sau!“ Im
Text tauchte der Satz noch einmal auf,
fettgedruckt, und als Zitat eines Zuschauers im
Gerichtssaal ausgewiesen. Bild ist in den
vergangenen Jahren, zumal unter seinem der-
zeitigen Chefredakteur Larass, eine gelegent-
lich zivile Zeitung geworden; den Münchener
Lokalredakteuren [id:21157] wird regelmäßig
selbst der Stil aus den ekligsten Zeiten des
Blattes erlaubt. Sie begreifen dort wahrschein-
lich nicht einmal den zivilisatorischen Fort-
schritt, den die Abschaffung von Lynchjustiz
und Todesstrafe bedeutet - und wenn sie ihn
begriffen, wäre er ihnen Wurscht, solange sie
nur [id:21158] .
Die Bunte ist ein Blatt geworden, über das
man nur noch den Kopf schütteln kann. Dort
sind Leute am Werk, die vermutlich aufrichtig
nicht begreifen, was sie Woche für Woche
anrichten. In einem Stück über den Mord an
Gianni Versace schrieben sie am 24. Juli, dieser
habe quasi in der „dekadenten, pervertierten
Welt der Luxus-Homos“ gelebt. Ein Interview
mit einem als „Sexologen“ ausgewiesenen
schlossen, dem Burda-Verlag, in dem die
Bunte erscheint, keine Anzeigen mehr zu
geben. Nun war es sicher nicht sehr analytisch
von ihm, in dem Bunte-Artikel den „Stil der
Faschisten“ zu sehen. Es sollte auch nicht Stil
des Demokraten sein, seriöse Burda-Blätter
wie Elle und Freundin gleichfalls zu boykottie-
ren - daß er aber keine Geschäfte mit einer
Zeitschrift machen will, deren Redakteure
wohl nicht einmal merken, wieviel Ausgren-
zung in dem Wort „Luxus-Homos“ mitschwingt,
das ist eigentlich [id:21159] .
Der Manager von Harald Juhnke¹ hat diese
Woche angekündigt, sein Klient werde nie
mehr für Sat 1 arbeiten. Nun weiß man nie,
wie's kommt; gewiß aber dürfte sein, daß
niemand bei Sat 1 [id:21160] darin gesehen hat,
mit dem nüchternen Juhnke eine Silvestergala
zu machen und dem betrunkenen Juhnke ein
Kamerateam ins Haus zu schicken. Der Mann
ist seit Jahren unfähig, [id:21161] sich , und der
sensationslüsterne Teil der Medien nutzt diese
Unfähigkeit seit Jahren aus. Es werden von
ihm Bilder und Töne genommen, man
berichtet im Gewand des Mitempfindenden
und führt ihn mit jedem Beitrag [id:21162] . „Wir
wünschen Harald Juhnke - und das meinen
wir aufrichtig - alles Gute“, sagte die Sat-1-
Moderatorin Lierhaus am Mittwoch, nachdem
ihr Reporter den Mann ausgeweidet hatte.Wie
muß sie gepolt sein, daß ihr solch ein Satz über
die Lippen geht? Der Vorsitzende des
Deutschen Journalistenverbandes, Hermann
Meyn, hat die Selbstkontrollorgane der
Medien aufgefordert, „solchen Auswüchsen
[id:21163] zu schenken“. Das sollten sie tun.
Nützen wird es aber nichts.

Detlef Esslinger, in: Süddeutsche Zeitung,
23./24.8.1997


¹ Deutscher Fernsehstar, der Alkoholprobleme hat