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„werch ein illtum!“

„werch ein illtum!“1)

In der vergangenen Woche brachen Ärzte und Schwestern ein Tabu: Sie
sprachen über ihre Fehler. Ein mutiger Schritt, der die Probleme allerdings
nicht löst.
1     Selten schlug deutschen Medizinern    daraus rechtliche Konsequenzen er-
 eine solche Welle der Sympathie wachsen (was ihr Verdienst nicht
 entgegen wie in der vergangenen60 schmälert). Doch just aus solchen juris-
 Woche. Eine Gruppe von tischen Erwägungen geben die
5 Ärzten und Schwestern war an die meisten Ärzte ihre Fehltritte allenfalls
 Öffentlichkeit getreten und hatte ihre im kleinen Kollegenkreis zu. Ihr Fehl-
 beruflichen Verfehlungen gebeichtet. verhalten verschwindet gnädig im
 Hier war das falsche Knie operiert,65 Datenwust von Sterblichkeits- und
 dort eine Klemme im Bauch eines Komplikationsraten der Krankenhäuser.
10 Patienten „vergessen“ worden, oder5     Doch irgendwann wird die [id:100174]
 man hatte aus Versehen mit einer nicht mehr ausgeblendet werden
 Kanüle den Brustkorb so perforiert, können. Die geschädigten Patienten
 dass ein Lungenflügel kollabierte.70 haben schließlich ein Recht darauf,
 Mal führte übertriebener Ehrgeiz zum zu erfahren, wo ihr Arzt Fehler
15 Desaster, in anderen Fällen Eile oder gemacht hat – schon um des
 Rücksicht auf den Kollegen. Schmerzensgeldes willen. Bald wird
2     Mit der Bekenntnis-Broschüre auch die Frage gestellt werden
 setzte das Aktionsbündnis Patientensicherheit75 müssen, ob es genügt, dass nur die
 ein deutliches Zeichen. Qualität der Krankenhäuser jährlich
20 Selbst der Leiter des Instituts für in einem Report der Bundes-
 Qualität und Wirtschaftlichkeit im geschäftsstelle Qualitätssicherung
 Gesundheitswesen gab darin einen (BQS) dokumentiert wird – oder ob
 Fehler zu, desgleichen ein Direktor80 man nicht auch Qualität und Versagen
 des Universitätsklinikums Gießen einzelner Ärzte analysieren
25 und Marburg und der Präsident der und veröffentlichen sollte.
 Ärztekammer. Dies könnte viele6     Wie das im Zeitalter des Internets
 weitere Kollegen animieren, ihre aussehen könnte, zeigt der Blick in
 Fehlbarkeit zuzugeben. Das ist gut85 die USA, wo die Diskussion schon
 so. Aber die Geständnisse sind nur fortgeschritten ist. Dort liefert die
30 ein Vorspiel. Die Auseinandersetzung Website www.healthgrades.com für
 um Fehler im Medizinsystem hat erst 17,95 Dollar vollständige Arztdossiers,
 begonnen – und sie kann noch inklusive einer Auflistung
 deutlich härtere Formen annehmen.90 aller Gerichtsverfahren. „Diesen
 Denn längst nicht für jedes dabei auf- Aspekt kehren wir zurzeit unter den
35 tretende Problem ist auch eine Tisch, um das wachsende Pflänzlein-
 Lösung in Sicht. Patientensicherheitsbewegung nicht
3     Schon die Veröffentlichung war zu gefährden“, sagt Matthias
 ein kalkuliertes Risiko. „Wir haben95 Schrappe.
 mit größter Spannung darauf ge-7     Die Kunstfehlerdiskussion ist nur
40 wartet, wie das aufgenommen würde, der Anfang. Bislang spüren Mediziner
 und das Schlimmste befürchtet“, sagt mit Hilfe von vergleichenden Studien
 Matthias Schrappe, der Vorsitzende und statistischen Analysen, der sogenannten
 des Aktionsbündnisses, am Tag nach100 evidenzbasierten Medizin,
 dem Outing. Schließlich stürzen sich die besten Medikamente und
45 vor allem die Boulevardmedien gern Behandlungen auf – und sortieren die
 auf ärztliches Fehlverhalten. Aber die weniger guten aus. Aber dieses
 Bekenntnisse der „mutigsten Ärzte Verfahren bildet die Güte der
 Deutschlands“ kamen an. „Die105 Therapie nur unvollständig ab, weil
 wahren Geschichten schlagen alles es die möglichen systematischen
50 andere“, sagt Schrappe nun, „das Fehlerquellen in den Behand-
 unterschätzt man als Experte manchmal.“ lungsprozessen kaum betrachtet.
4     Was die wohlwollende Berichterstattung Was nützt das neueste und beste
 allerdings unterschlug, war110 Amputationsverfahren, wenn der
 die Tatsache, dass die Ärzte sich vor Chirurg wegen fehlerhafter Organisation
55 ihrer mutigen Beichte wochen- und das falsche Bein abnimmt?
 monatelang juristisch beraten lassen 
 mussten. Schließlich sollten keinem naar: Die Zeit, 06.03.2008
noot 1 Der österreichische Dichter Ernst Jandl (1925 - 2000) hat in einem Gedicht mit dem
Titel „Lichtung“ die Buchstaben „l“ und „r“ umgetauscht: „manche meinen lechts und
rinks kann man nicht velwechsern. werch ein illtum!“