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Teilchenbeschleunigung

 
ANALYSE
 

Teilchenbeschleunigung

 
1    Feinstaub ist eine heimtückische    bundeseinheitlichen Plaketten, die
 Substanz. Man sieht ihn nicht, man ungefilterte Dieselfahrzeuge aus bisher
 schmeckt ihn nicht, aber mit50 stark belasteten Umweltzonen aussper-
 schleichender Wirkung attackiert er ren. Und mit steuerlichen Einmal-
5 den Körper. Spätestens mit dem Urteil Spritzen von 300 Euro zur Umrüstung
 des Bundesverwaltungsgerichts hat er alter Stinker mit Rußfiltern.
 jetzt auch die Politik erwischt. Kon-4    Spätestens seit Inkrafttreten dieser
 kret: die Verantwortlichen in den55 Regelungen haben Städte und Kom-
 Städten und Kommunen. Nur: ein munen keine Ausrede mehr fürs
10 heimtückischer Generalangriff auf die Nichtstun. Das Bundesverwaltungs-
 politischen Körperschaften war das gericht hat es ihnen jetzt nur dick
 nicht. Bund, Städte und Gemeinden hinter die Ohren geschrieben. Wenn
 waren 36 .60 die kommunalen Spitzenverbände nun
2    Seit 2002, seit der Novelle der Horrorszenarien von Klage- und
15 Bundesimmissionsschutzverordnung, Kostenwellen beschwören, ist das in
 wussten sie, dass sie den krebserregen- etwa so legitim wie das Lamento über
 den Staubpartikeln zu Leibe rücken die dritte Mahnung zur Begleichung
 müssen. Aber ihr einziges Handeln65 einer unbezahlten Rechnung. Die-
 bestand aus kräftigem Augen und jenigen, die es angeht, die mit Fein-
20 Ohren Zuhalten. Als dann, mit aus- staub belasteten Kommunen, wissen
 reichendem Vorlauf, 2005 die euro- ziemlich genau, dass sie als Klage-
 päische Feinstaubrichtlinie mit ihren anwärter auf der Giftliste von Umwelt-
 engen Grenzwerten in Kraft trat, fielen70 verbänden und Anwohnern stehen.
 einige demonstrativ aus allen Wolken Über 70 Kommunen haben deshalb
25 und wollten auch dann noch ihre schon Aktionspläne für bessere Luft in
 Pflicht zum Einschreiten nicht wahr petto. Die Klageandrohungen werden
 haben. ihnen Beine bei der praktischen
3    Erst die Drohung von Anwohnern75 Umsetzung machen. Wo Politik klug
 stark belasteter Straßen, bei Über- ist, nutzt sie den Richterspruch als
30 schreitung der EU-Grenzwerte ihre Argument zum raschen – auch
 Stadtoberen vor Gericht zu zerren, unpopulären – Handeln.
 wirkte als Teilchenbeschleuniger.5    Denn wenn zum Jahreswechsel die
 Richtig Beine machen ließ sich die80 ersten Fahrverbote für „Feinstaub-
 Politik aber nicht. Denn ab 2005 schleudern“ in Kraft treten, wird es
35 begann ein Ping-Pong-Spiel der Ver- Konfliktstoff pur geben. Dann erwischt
 antwortlichkeiten. Mit dem Problem der unsichtbare Feinstaub auch
 überforderte Kommunen spielten den Lieschen Müller und Otto Normal-
 Ball an die Länder weiter. Dann wurde85 verbraucher in all seiner Heimtücke
 der schwarze Peter zwischen Bund und und Ambivalenz. Auf der einen Seite
40 Ländern hin und her geschoben. Erst wollen sie gesunde Luft, auf der
 im Frühjahr 2007, zwei Jahre nach anderen Seite wollen sie weiter mit
 Inkrafttreten der europäischen Fein- dem alten Diesel-Stinker bis vor die
 staubrichtlinie – und hundertfachen90 Haustür fahren. Das zeigte sich, als
 alljährlichen Verstößen dagegen – Stuttgart die für diesen Sommer
45 brachten Bund und Länder die gesetzlichen geplanten Fahrverbote verschob.
 Voraussetzungen auf den Weg, Schlagartig ebbte bei Autobesitzern die
 das Problem einzudämmen: mit Bereitschaft zur Filternachrüstung ab.