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Die Kunst des Miteinanders

 

Die Kunst des Miteinanders

 
Die Welt könnte etwas mehr soziale Intelligenz gut vertragen. Sagt der Psychologe
Daniel Goleman in seinem Opus Magnum
 
1    Was wäre Ihnen lieber: ein IQ von    einem Bein hinzuknien, die Waffen zu
 130 bei einem EQ von 80 oder umge- senken und – zu lächeln. Schlagartig
 kehrt? Wenn Sie die Frage verstehen, veränderte sich der „Mob“, manche
 aber trotzdem nicht sicher sind, wie55 schrien weiter, die meisten erwiderten
5 Sie antworten sollen, haben Sie irgend- das Lächeln. Der Offizier handelte
 wann Daniel Golemans Weltbestseller nach Goleman sozial intelligent: Er
 „Emotionale Intelligenz“ (1995) ge- fühlte sich in andere ein, begriff non-
 lesen. Dessen Quintessenz: Mit Gefühl- verbale Signale, wusste, wie deren
 en umgehen zu können, ist ebenso60 soziale Welt funktioniert.
10 wichtig für ein gelingendes Leben wie4    Aber ist im Alltag „soziale Intel-
 räumliche Orientierung oder die Beherr- ligenz“ auch so wichtig wie im Krieg?
 schung logischer Schlussfolge- Geht es nicht spätestens beim Geld-
 rungen. Außer Dr. McCoy und Mr. ausgeben um das rationale Kosten-
 Spock vom „Raumschiff Enterprise“¹65 Nutzen-Prinzip, und nicht um Be-
15 hatte das zuvor keiner so schlagend ziehungen? Nun, Experimente weisen
 nachgewiesen wie Daniel Goleman, nach: Leute sind bereit, auf eigene
 Psychologiedozent an der Harvard Gewinne zu verzichten, wenn sie damit
 Universität und Redakteur für Psycho- verhindern können, dass ein Konkur-
 logie und Neurowissenschaft bei der70 rent ungerechterweise finanzielle Vor-
20 „New York Times“. teile erhält. Das lässt traditionelle
2    Vielleicht prägt Goleman mit Ökonomen glatt verzweifeln, nach
 „Soziale Intelligenz“ wieder einen ihren Theorien will der Mensch nur
 Begriff. Das Zeug dazu hat sein neues den eigenen Gewinn optimieren. Auch
 Opus Magnum jedenfalls. Im Mittel-75 unsere biologische Raubtiernatur
25 punkt stehen nicht mehr die Gefühle zwingt uns nicht zum kühlen Egois-
 des Einzelnen, sondern diejenigen mus: Affen verzichten auf ihr Futter,
 unserer sozialen Beziehungen. Die um Artgenossen Schmerzen zu er-
 flimmernden MRTs (Magnet-Res- sparen, und Ratten verstehen sich auf
 onanz- Tomografie) der Neurowissen-80 die Kunst des Flirtens. Diese soziale
30 schaftler zeigen: Wenn Menschen auf- Programmierung dient letztendlich
 einander treffen, tanzen ihre Gehirn- dem Überleben unserer Spezies.
 nerven miteinander Tango. Hunderte5    Forscher an der Carnegie Universi-
 von Untersuchungen wertet Goleman tät in Pennsylvania haben sogar her85
 auf diesen 640 Seiten aus und schafft85 ausgefunden, dass Einsamkeit gesund-
35 es, die abstrakten Ergebnisse an eine heitsschädlicher ist als Rauchen. Zu
 soziale Wirklichkeit zu binden, die vom dumm nur, dass wir so viel in allseits
 Ärger über ungerechte Chefs und beliebte Antirauchkampagnen stecken,
 Stress mit der Freundin bis zum aber nichts in Maßnahmen gegen
 Kriegstrauma reicht.90 Isolation … Goleman bringt Beispiele
340    Goleman beginnt mit einem Fall dafür, wie Lieblosigkeit in der Medizin,
 jenseits der Labors: Im letzten Irak- am Arbeitsplatz, in Schulen und Ge-
 krieg näherten sich GIs² Hilfe suchend fängnissen, in multikulturellen Kon-
 einer Moschee. Eine Menschenmenge flikten bekämpft werden kann. Er
 rottete sich zusammen, die Iraker95 gebraucht, ohne mit der Wimper der
45 dachten, ihr religiöses Oberhaupt sei in Wissenschaft zu zucken, dieses Wort:
 Gefahr: Zornige Gesichter, Hände- „Lieblosigkeit“ – und schließt mit
 fuchteln, Schreie in unverständlicher einem Zitat des Dichters W.H. Auden:
 Sprache. In dieser gefährlichen Situa- „Wir müssen einander lieben – oder
 tion gab Oberstleutnant Christopher100 sterben.“ Ein durchaus erstaunliches
50 Hughes seinen Soldaten einen un- Buch. Oder wie Mr. Spock gesagt hätte:
 erhörten Befehl: nämlich, sich mit „Faszinierend“.


noot 1 De Enterprise is een fictief ruimteschip uit de televisieserie Star Trek.
noot 2 GI: Government issued / General Infantry, een benaming voor een Amerikaanse soldaat.