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Soziale Netzwerke

Soziale Netzwerke

Es war einmal im wilden Netzwesten
    
1     Philipp Müller, sechsunddreißig,   75 gewachsen. Grobe Mängel in der
 hat am Morgen eine neue Freundin Datensicherung bescheinigt eine
 gefunden. Im Internet. Sie heißt Studie des Fraunhofer-Instituts nahezu
 Vanessa, sie ist elf Jahre alt, und allen Anbietern. Die Netzwerke, sagt
5 Müller kennt auch ihren Nachnamen der Kaiserslauterer Informatikprofes-
 und ihren Wohnort. Er hat Fotos von80 sor Hendrik Speck, befänden sich eben
 ihrer Familie und von ihren Freunden noch in ihrer „Wildwestzeit“. Eine
 gesehen, er weiß, welches ihre Hobbys Entschuldigung ist das nicht, gerade
 sind, welches ihr Lieblingsfilm ist und angesichts des Erfassungswahns, mit
10 dass sie gerade verliebt ist. Er weiß, dem ein normales Netzwerk gemäß
 welche Schule sie besucht, er hat her-85 Specks Zählung sechsundneunzig
 ausgefunden, in welcher Straße sie verschiedene Informationen über
 wohnt - und er kennt damit auch ihren seinen Nutzer sammelt - von persön-
 Schulweg. Vanessa hingegen weiß lichen Daten bis zum Browser, mit dem
15 praktisch gar nichts über Philipp, er sich ins Netz begibt. Dagegen wirken
 schon gar nicht, dass er ein erwach-90 die Volkszählungsbögen von 1987 mit
 sener Mann ist. Für sie, denn das hat ihren achtzehn Punkten und selbst der
 er bei der Registrierung auf der von Speck präsentierte Stasi-Erfas-
 Schülertreff-Website Spickmich.de sungsbogen2) mit achtundvierzig
20 behauptet, ist er ein Schüler der Fragen geradezu [id:61194] . Zu allem Übel
 fünften Klasse.95 fordern die Voreinstellungen angehen-
2     Ihren Namen, ihre Schule und ihre den Netzwerkern bei der Registrierung
 Hobbys hat Vanessa selbst auf der die größtmögliche Offenheit ab; wer
 Seite von Spickmich hinterlassen, die mehr Privatsphäre möchte, muss die
25 Adresse hat Müller aus dem Telefon- Einstellungen erst ändern. So flottiert
 buch. Und es ist ein Glück für Vanessa,100 eine Vielzahl persönlicher Daten
 dass sein virtuelles Rollenspiel keinem durchs Netz, wird kopiert, verkauft
 finsteren Plan dient, sondern der Vor- und ist praktisch nicht mehr zu
 bereitung auf ein Mainzer Symposion, löschen.
30 bei dem der ZDF-Redakteur Müller6     Bei der kleinen ZDF-Plattform
 eine Moderation übernommen hat.105 tivi.de müssen die Eltern die
 „Ach wie gut, dass jeder weiß“ heißt die Registrierung ihrer Kinder per Fax
 Veranstaltung, und sie befasst sich mit bestätigen. Eine Praxis, die für mehr
 dem „Datenouting“, das Millionen Sicherheit sorgt, das Ganze für die
35 kleine und größere Vanessas freiwillig jungen Surfer gleichwohl weniger
 in Online-Communities wie Facebook,110 reizvoll macht - suchen sie doch gerade
 StudiVZ oder eben auch Spickmich den von den Eltern unkontrollierten
 betreiben - mit unabsehbaren Folgen. Raum. Für Plattformen, die auf eine
3     Viele Eltern muss die [id:61192] , die größere Reichweite zielen, wäre dies
40 diese neue Jugendkultur auszeichnet, kaum praktikabel: Ihren Zulauf
 irritieren. Eine Generation, der vor115 verdanken sie möglichst niedrigen
 zweiundzwanzig Jahren die an der Hürden. Zudem, argumentiert der
 Haustür klingelnden Herrschaften mit Spickmich-Vertreter Thorsten
 den Volkszählungs-Fragebögen als Feldmann, würde die Zahl der erhobe-
45 Abgesandte des Teufels erschienen, nen Daten durch eine Fax-Registrie-
 muss mitansehen, wie der eigene120 rung noch vervielfacht, wo doch die
 Nachwuchs die Welt fröhlich über sein Plattformen zur „Datensparsamkeit“
 Freizeitverhalten oder seine sexuellen angehalten seien. Tatsächlich, so
 Präferenzen informiert. Wobei bestätigt der Kasseler Medienrechtler
50 „mitansehen“ auf die wenigsten Alexander Roßnagel, stehe ein Netz-
 Familien zutrifft, da in der Regel die125 werkbetreiber rechtlich um so besser
 Eltern gar nicht genau wissen, was ihre da, je weniger er sich um die Inhalte
 Kinder im Netz so treiben. kümmere.
4     Seit jeher suchen sich Jugendliche7     Auch aus diesem Grund sieht Roß-
55 von den Erwachsenen abzugrenzen nagel den Gesetzgeber in der Pflicht:
 durch eigene Mode, Sprache und130 „Das geltende Recht ist nicht für die
 Kultur; nie aber schien der Versuch der Plattformen gemacht. Es ist zwanzig
 Eltern, an der Lebenswelt ihrer Kinder Jahre alt, da hat noch kein Mensch ans
 teilzuhaben, so [id:61193] wie angesichts Internet gedacht.“ Dabei böten schon
60 des digitalen Grabens, der zwischen die bestehenden Gesetze womöglich
 den Generationen klafft, zwischen135 Hebel für eine radikale Durchsetzung
 jenen, die über die Jahre den Umgang des Jugendschutzes: Wer beschränkt
 mit Textverarbeitungsprogrammen geschäftsfähig ist, und das sind
 und mit E-Mails erlernt haben, und Menschen unter achtzehn Jahren, der
65 den „Digital Natives“, deren Vorstel- darf eigentlich keinen Vertrag
 lungskraft es übersteigt, dass es einst140 abschließen - genau das aber geschieht
 ein Dasein ohne DSL1) gab. Wie übt bei der Registrierung in einem sozialen
 man als Erziehungsberechtigter und - Netzwerk. Doch Verbote, darüber sind
 verpflichteter seine Rolle aus, wenn sich alle Teilnehmer des Symposiums
70 die, die herangebildet werden sollen, einig, sind noch nie das richtige Mittel
 einen uneinholbaren Wissensvor-145 im Umgang mit Jugendkulturen
 sprung haben? gewesen.
5     Zudem scheinen die Plattformen 
 der eigenen Popularität nicht 
    
Frankfurter Allgemeine Zeitung