Gleich ist es fünf Uhr nachmittags - und Hartmut N. hat immer noch nicht zum Telefon gegriffen. Dabei steht ihm das Wasser bis zum Hals. Wenn es so weitergeht, wird er nicht einmal mehr die Miete für sein Büro zahlen können. Hartmut N. ist Immobilienmakler in Berlin und behauptet: "Ich könnte eine Menge Geld verdienen." Könnte - wenn er kein 17 wäre. Unangenehme Telefonate von heute auf morgen zu verlegen, dann von morgen auf übermorgen: Das bringt ihm jedes Mal für den Moment Erleichterung. Langsam, aber kontinuierlich ist so die große Untätigkeit eingetreten - jetzt läuft so gut wie gar nichts mehr. Jeden Tag sitzt N. in seinem Büro, greift noch mal schnell zur Zeitung, zum Apfel oder klickt sich durchs Internet, bevor er "ganz bestimmt" den Hörer in die Hand nimmt, um Kunden zu aquirieren. Das geschieht dann zuletzt doch nicht. Aufschieberitis im Endstadium. Chronische Verzögerer Und ein Fall für Hans-Werner Rückert. Er ist Trainer, Psychotherapeut und Leiter der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung an der Freien Universität Berlin. Bei ihm sammeln sich die 18 - diejenigen, bei denen sich ein kleines, weit verbreitetes Laster zum existenzbedrohenden Lebensproblem ausgewachsen hat. Gestützt auf US-Erhebungen schätzt Rückert, dass ein Viertel aller Erwachsenen sich diesem Problem hilflos ausgeliefert fühlt. "Bei Studierenden schätzt man, dass 70 Prozent wichtige Arbeiten aufschieben", sagt Rückert. Und 25 Prozent seien "chronisch harte" Verzögerer. Nun mag manch einer entgegnen: Na und? Schließlich kennt jeder mindestens einen Kollegen, der behauptet: "Ich 19 ." Das allerdings sei "eine Mär", sagt Rückert: Untersuchungen seien zu dem Ergebnis gekommen, dass die chronischen "Ich-brauch- Stress"-Kandidaten schlechtere Leistungen erbringen als Kollegen, die diszipliniert arbeiten. Viele dieser "Hochdruck-Arbeiter" haben in Wahrheit einen Hang zum Aufschieben unangenehmer Pflichten - bis es eben gar nicht mehr anders geht. |
Ursachen für diese Arbeitsstörung gibt es so viele, wie es unangenehme Aufgaben gibt. Eher harmlos ist der Auslöser, wenn es darum geht, Unlust zu vermeiden, die eine Tätigkeit verursacht, weil sie mit Neuem, Unordnung und Veränderungen einhergeht. Wer 20 aus Selbstschutz zu bummeln anfängt, weil er Angst vorm Versagen hat, - für den kann es leicht kritisch werden. Ähnliches gilt für Trotzreaktionen aus Ärger über eine zugewiesene Arbeit. Chronische Aufschieber erkennt man laut Rückert daran, dass sie häufig zu spät kommen, unvorbereitet sind sowie ein schlechtes Verhältnis zu ihren Arbeitskollegen haben. Sie 21 , Rechenschaft über ihren Arbeitsstil abzulegen. Stattdessen wird sehr viel Zeit auf die Imagepflege verwendet. Für manchen Außenstehenden erstaunlich: Wer ständig Arbeit aufschiebt, empfindet sich selten als faul - er sieht sich eher als Workaholic. Allerdings als einer, der ständig einen Haufen Projekte anschiebt, aber keines im Griff behält. Das mögliche Ende der Entwicklung: "Kontrollverlust, ein am Boden liegendes Selbstwertgefühl und die Gewissheit allein nicht mehr damit fertig zu werden", erklärt Rückert. 22 Was können die Betroffenen tun? Nach Hans-Werner Rückerts Ansicht gibt es drei mögliche Lösungswege: "Erstens: Sie tun nur das, von dem Sie sagen, dass Sie es wollen - oder von dem Sie akzeptieren, dass Sie es müssen. Zweitens: Sie geben Vorhaben auf, die Sie tyrannisieren. Das kann auch bedeuten, den Job zu wechseln. Drittens: Sie entscheiden sich dafür, weiter aufzuschieben, lernen aber, Leid und Selbstverachtung einzugrenzen." Vielleicht gelinge es sogar, "Spaß am Aufschieben und am Spiel mit dem Feuer zu empfinden." 23 verfällt auch der Aufschieb- Fachmann Rückert manches Mal selbst in Bummelei. Mit dem Aufräumen der Computer- Festplatte oder des Kellers anzufangen, so bekennt der Psychotherapeut, "zählt auch nicht zu meinen Stärken". |