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Gorilla im Käfig

Bei „Gottes Rottweiler“ gilt die alte Hundehalter-Weisheit: Die britische Presse will doch nur spielen.

1     Es kann natürlich immer noch    School of Economics sagt: „Provokante
 schlimmer kommen. Die Höchststrafe Überschriften haben in England eine
 verhängte der „Daily Star“. Als die65  lange Geschichte. Die Regel für eine
 Verehelichung von Prinz Charles und gute Headline heißt: Sie muss witzig
5  seiner Dauergeliebten Camilla zu  sein, und sie muss schockieren.“ Um
 vermelden war, verkündete das Blatt in die „schärfsten Titel“ gebe es einen
 großformatigen Buchstaben: „Zwei  regelrechten Kult. „Sie werden ein-
 langweilige Idioten heiraten“. So eine70 gerahmt und an die Wand gehängt.“
 Schlagzeile als Hochzeitsgeschenk7     „Wie können 59 054 087 Leute so
10  macht königliche Freude.  dämlich sein?“, unterschrieb der „Daily
2     Zumindest den Vorwurf, ein Langweiler Mirror“ in beleidigender Direktheit das
 zu sein, ersparten die Londoner Foto des dankenden George W. Bush,
 Zeitungen Joseph Ratzinger, als er im75  als er von den Amerikanern ein zweites
  weißen Rauch von Rom zum Papst auf  Mal zum Präsidenten gewählt worden
15 gestiegen war. Stattdessen provozierte war.
 das Skandalblatt „Sun“ am Kiosk zur8     „Gotcha“, jubilierte die „Sun“, als
 Verkaufsförderung mit der Nazi-  britische Truppen während des Falk
 Anspielung „Vom Hitlerjungen zum80 landkriegs im Mai 1982 ein argenti-
 Papa Ratzi“. Mit der Schlagzeile nisches Kanonenboot versenkt hatten.
20  „Gottes Rottweiler ist der neue Papst“  „Erwischt!“, im Triumphschrei wie aus
 versuchte der seriösere „Daily Telegraph“ einem Computerspiel ging unter, dass
 Leser zu beeindrucken. der Treffer 1200 Menschen das Leben
3     „Moralische Arroganz“, empörte85  gekostet hatte. Der Chefredakteur zog
 sich die „Frankfurter Allgemeine in nachgedruckten Ausgaben die
25  Zeitung“ über die Kollegen in Groß-  Schlagzeile zurück. Verleger Rupert
  britannien. Und die „Bild“-Zeitung aus Murdoch mochte die Notwendigkeit
 dem protestantisch geprägten Axel  dazu nicht verstehen, berichten Augen
 Springer Verlag schlug zurück. „Engländer90 zeugen.
 beleidigen deutschen Papst!“,9     Die englische Boulevardpresse sei
30  erregte sie sich auf der Titelseite. Chef-   mittlerweile „kaum mehr als Stegreif-
  redakteur Kai Diekmann, der   komödie“, wertet der angesehene
 Ratzingers Wahl mit einem tagelangen Zeitungsexperte James Curran.
 Hochamt im Blatt feiern ließ, hält die95  „Englische Zeitungen sind unterhaltsam
 Schlagzeilen in Großbritannien für und sehr gut geschrieben. Aber
35  „bösartig“. Wie Zuspitzung funktioniert,  mit traditionellen Nachrichten hat das
 weiß Diekmann sehr genau. nur noch wenig zu tun.“ Das Publikum
 Gerade erst ließ er die Fußballspieler reagiert entsprechend. „Die britische
 des FC Schalke 04 in Windeln montiert100  Presse ist in Europa diejenige, der ihre
 ins Blatt heben. Doch bei den Papst- Leser am wenigsten trauen“, sagt
40  Titeleien der Engländer hört der Spaß  Curran.
 auf, und es beginnen, so Diekmann,10     Mit ihrer Skepsis haben die
 „antideutsche Reflexe“. Briten durchaus Recht, wie sich kurz
4     Der Aufgeregtheit in Deutschland105  vor dem Deutschland-Besuch der
  entging, dass den provokanten Schlag  Königin im vergangenen November
45 zeilen meist differenzierte Artikel folgten, zeigte. Der „Daily Express“ behauptete
 die all das enthielten, was deutsche damals, die Deutschen hätten von
 Journalisten glaubten richtig Queen Elizabeth eine Entschuldigung
 stellen zu müssen. Und das hat mit der110  für die Bombardierung Dresdens
 Tradition der britischen Presse zu tun. gefordert. Die Nachricht war eine Ente,
550     „Die Deutschen haben überreagiert“, berichtigt wurde sie nie. Stattdessen
 findet Lord George Weidenfeld. wiederholten Medien von der „Mail“
 Der 1938 aus Wien nach England bis zum „Observer“ und schließlich
 emigrierte Verleger hält das deutsche115  auch die BBC die Falschmeldung.
  Echo auf die britische Papst-Bericht 11     Im Kampf um die Leser verwischt
55 erstattung für „hysterisch“. Es gäbe  sich die Grenze zwischen Qualitäts-
 zwar immer wieder antideutsche  blättern und Boulevardpresse. Michael
 Untertöne in der Presse - ebenso wie  White, seit Jahren politischer Chef
 Seitenhiebe gegen Franzosen und120 redakteur für den seriösen „Guardian“,
  Amerikaner. „Aber niemand in Eng-  sagt, dass die Trennung nicht mehr
60 land nimmt dieses Geplänkel ernst.“ funktioniert. „Wir sitzen mit dem
6     Die Medienwissenschaftlerin Gorilla in einem Käfig.“
 Margaret Scammell von der London