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Die große Verschwendung im Haushalt

11    Die Prognosen sind düster. Bis zum Jahr 2020, so hat es die Weltenergiekonferenz
2 im kanadischen Montreal errechnet, werde der weltweite Energieverbrauch um bis zu
3 75 Prozent über dem Niveau von 1985 liegen. Doch da das Klima zu kippen droht, muss
4 die Notbremse gezogen werden. Schon innerhalb der kommenden zehn Jahre sollte die
5 Bundesrepublik [id:87792] die Hälfte ihres Kohlendioxidausstoßes einsparen, fordert Wilfrid
6 Bach, Direktor der Forschungsstelle für angewandte Klimatologie an der Universität
7 Münster. »Machen wir aber weiter wie bisher«, warnt der Wetterforscher, »kommt die
8  [id:87793] «
29    Doch wie soll sich die Menschheit vor der drohenden Treibhausfalle schützen?
10 Müssen hochindustrialisierte Länder wie die Bundesrepublik gar wieder Abschied
11 nehmen vom jahrzehntelang gewohnten Wohlstand mit Auto, Flugreisen und
12 Spülmaschine?
313    Wohl kaum [id:87794] sollten gerade »High-Tech-Staaten« wie die Bundesrepublik eine
14 weltweite Vorreiterrolle beim rationellen Energieeinsatz übernehmen. Denn noch immer
15  [id:87795] wir die eingesetzte Energie im Durchschnitt nur zu knapp 40 Prozent; weit über die
16 Hälfte des bundesdeutschen Energieverbrauchs verfliegt ungenutzt als sogenannter
17 »Wandlungsverlust« durch Schornstein oder Auspuff. Beim rationellen und damit [id:87796]
18 Energieeinsatz hinken die privaten Haushalte der bundesdeutschen Industrie jedoch weit
19 hinterher. Sank der Energieverbrauch im Produktionsbereich von 1973 bis 1987 um rund
20 25 Prozent, legten die Haushalte zu und verbrauchen heute soviel Energie wie die gesam te
21 Industrie.
422    Dabei ließe sich die negative private »Energiebilanz« mit wenigen Maßnahmen
23 verbessern. Da die Hälfte des privaten Energieverbrauchs zum Heizen benötigt wird,
24 reichen oft schon spezielle Dämmschichten unter dem Dach und am Mauerwerk, neue
25 Fenster oder ein neuer Ölbrenner, um [id:87797] Energie und Geld zu sparen. Allein mit
26 derartigen Wärmeschutzmaßnahmen ließe sich bis zu 50 Prozent der gesamten
27 Heizenergie einsparen, hat das Umweltbundesamt errechnet.
528    An zweiter Stelle in der privaten Energierechnung steht schon das Auto, das ein
29 Drittel der gesamten Haushaltsenergie benötigt. Var dem Kauf lohnt deshalb ein Bliek in
30 die regelmäßig vom ADAC veröffentlichte »Sprit-Hitliste«, in der die [id:87798] sämtlicher
31 gängiger Fahrzeuge angegeben sind.
632    Doch Energiesparen muss für den einzelnen attraktiv sein. Denn auch wenn das
33 sparsame Auto schon kurz vor der Serienreife steht - bis zum nächsten Ölpreisschock
34 hätten diese Fahrzeuge wohl keine Chance, sofern nicht steuerlich kräftig nachgeholfen
35 wird. Ähnliches gilt auch für den Strompreis, der noch immer nach einem [id:87799] System
36 gestaffelt ist: Großabnehmer zahlen vergleichsweise wenig, Kleinverbraucher dagegen
37 mehr. Die neue Bundestarifordnung (BTO), nach der ab 1993 die Strompreise neu
38 berechnet werden, »ist in Halbherzigkeiten steckengeblieben«, kritisiert die Bonner
39 Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände die von der Stromwirtschaft als »großen
40 Wurf« gefeierte Novelle. »Zum Stromsparen«, so die Verbraucherschützer, »leistet die
41 BTO keinen ernsthaften Beitrag.«
742    Zum Energiesparen braucht es jedoch nicht nur einen Anreiz über den Preis,
43 sondern es müssen auch entsprechende Technologien bereitstehen. Für [id:87800] derartiger
44 neuer Techniken fehlt aber häufig das Geld. Noch immer investiert das Bundesforschungsministerium
45 jede zweite Mark seines Etats in die bereits fertig entwickelte Kernkraft;
46 erneuerbare Energiequellen wie Sonne, Wind oder Wasser bleiben am Rande des
47 Subventionsregens. Auf [id:87801] als Ausweg aus der Klimakatastrophe zu setzen, ist jedoch
48 weder technisch noch wirtschaftlich möglich : Um die entsprechende Menge Kohlendioxyd
49 zu sparen, müsste in den nächsten Jahrzehnten weltweit alle zwei Tage ein neuer
50 Kernreaktor ans Netz gehen.
Stuttgarter Nachrichten, 3.3.1990