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Experten für Umdenken in der Drogenpolitik

Experten für Umdenken in der Drogenpolitik

11    Das bisher Unaussprechliche ist zur Diskussion gestellt worden: die Legalisierung von
2 Drogen. Auf einem internationalen Kongreß zum Thema Drogen, der von der
3 katholischen Universität von Brabant in Tilburg in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck
4 Institut für internationales Strafrecht, Freiburg, veranstaltet wurde, sprachen sich
5 westeuropäische und amerikanische Teilnehmer für einen freien Verkauf aller Drogen
6 aus.
27    Im Kampf der westlichen Welt gegenüber den Drogen hat sich in der Tat erwiesen,
8 daß das harte und repressive Auftreten der Strafbehörden nicht den gewünschten Effekt
9 hat. Daher sei es folgerichtig, so meinten die Experten, daß der Besitz und Genuß von
10 Haschisch und Marihuana, aber auch von Kokain und Heroin nicht mehr strafbar sein
11 dürfe.
312    Auch für den holländischen Strafrechtler Professor Rüter ist der Drogenkampf
13 »Raubbau am strafrechtlichen System«. Die Gefängnisse seien überfüllt, die Korruption
14 bei der Polizei und Unregelmäßigkeiten bei der Justiz häuften sich. Das harte Auftreten
15 Im Kampf gegen die Drogen habe das Gegenteil bewirkt: Das Strafrecht schrecke den
16 Handel nicht ab, sondern mache ihn geradezu attraktiv. Auf einen Drogensüchtigen
17 mache eine Gefängnisstrafe keinen Eindruck mehr. Gesellschaftlich habe er nichts mehr
18 zu verlieren, Gefängnisaufenthalte würden eher als eine Art Ruhepause betrachtet, und
19 Drogen gebe es mittlerweile überall innerhalb der Gefängnismauern.
420    Nach einer zwei Jahre alten Meinungsumfrage des Allensbach-Instituts, durchgeführt
21 in sieben europäischen Ländern, glaubt die Mehrheit der Bevölkerung, daß mit
22 drakonischen Strafen das Problem nicht zu bewältigen sei. Man müsse Wege finden, den
23 Drogensüchtigen zurück ins normale Leben zu helfen. Trotz einer Maginot-Linie, die
24 Reagan zu Wasser, zu Land und in der Luft längs der amerikanischen Grenze aufgebaut
25 hat, hat die Drogenzufuhr in die Vereinigten Staaten zugenommen. Und Rekordfänge an
26 Heroin oder Kokain bedeuten nicht, daß die Polizei erfolgreicher ist, sondern daß das
27 Drogenkartell seinen Handel vergrößert hat, Rund acht Milliarden Dollar geben die USA
28 in diesem Jahr für den Kampf gegen die Drogen aus.
529    Etwa 22 Millionen Amerikaner nehmen gelegentlich Kokain, und vier Millionen tun
30 dies regelmäßig. In den zwölf EG-Ländern zählt man rund drei Millionen
31 Kokain-Süchtige und eine Million Heroin-Süchtige. Amerika ist der größte Markt für
32 illegale Drogen. Hier entstehen auch die neuen Trends im Konsum. Der weltweite
33 Jahresumsatz von Drogen wird auf rund 300 Milliarden Dollar geschätzt. Auch als
34 Produzent spielt Amerika eine wichtige Rolle. Synthetische Drogen wie Amphetamine
35 und LSD kommen nach Schätzungen zu 80 Prozent aus illegalen Laboratorien in den
36 USA.
637    Den Grund, warum der Kampf gegen die Drogen-Mafia in den USA scheitern mußte,
38 sehen Experten darin, daß die falschen Waffen eingesetzt werden. Die Maßnahmen
39 eigneten sich eher für die Bekämpfung von Dieben oder Mördern. Nehme man vier
40 Einbrecher gefangen, so werde die folgende Zeit weniger eingebrochen. Nehme man
41 hingegen vier Drogenhändler gefangen, so bleibe die Situation normal. Werden Dealer
42 gefaßt, so handelt es sich zumeist um Kleinstverkäufer, die Drahtzieher des organisierten
43 Verbrechens bleiben unauffindbar. Die negativen Effekte sind nicht allein Diebstähle oder
44 Mord, sie sind tiefgreifender, da die Gesellschaft durch die Drogen-Mafia langsam durch
45 und durch korrumpiert wird. Dank ihres Reichtums und ihres hochentwickelten
46 Organisations-systems dringt sie in legale Firmen und Regierungen ein.
747    Die Korruptionsskandale bei Justiz und Polizei haben in den USA ernsthafte Formen
48 angenommen. Eine weitere Gefahr ist, daß die Bürger dadurch ihr Vertrauen in den Staat
49 und in die Unabhängigkeit der Gerichte verlieren. In Amerika sind erste Anzeichen zu
50 entdecken, daß sich das System verhärtet. Die harte Gangart in der Bundesrepublik
51 gegenüber Drogen kann mit der amerikanischen Haltung verglichen werden. Im Hinblick
52 auf die Öffnung der EG-Binnengrenzen 1992 werden die Unterschiede im Kampf gegen
53 die Drogenkriminalität in Europa Stoff für hitzige Diskussionen liefern. Das bisher
54 geächtete niederländische Modell- die Zahlen der Drogenkonsumenten stagnieren hier
55 im Gegensatz zu anderen EG-Staaten - wurde auf dem internationalen Kongreß in
56 Tilburg als Vorbild genannt.

Süddeutsche Zeitung, 11./12.6.1988