1 | 1 | | Krieg scheint heute in Mitteleuropa unwahrscheinlicher als je in den letzten |
| 2 | | Jahrzehnten. Über Truppenreduzierungen wird verhandelt, Pläne für »Frauen in die |
| 3 | | Bundeswehr« sind wieder einmal in den Schubladen verschwunden. Friedlichere Zeiten |
| 4 | | also für Frauen und Männer? Könnten gar die alten Rollenmuster verschwinden, die |
| 5 | | Männern offene Aggression zugestehen (und manchmal abfordern), Frauen hingegen als |
| 6 | | von Natur aus friedfertig einstufen? Oder werden diese Klischees weiter bestehen gerade |
| 7 | | weil sie wenig mit der Wirklichkeit, aber um so mehr mit gesellschaftlichen |
| 8 | | Machtverhältnissen zu tun haben? |
2 | 9 | | Auf den ersten Blick scheint die Realität die Vorstellung von der Männlichkeit des |
| 10 | | Kriege(r)s und der Weiblichkeit des Friedens zu bestätigen. Fast immer werden Kriege |
| 11 | | von Männern »gemacht«, in den meisten Armeen sind die Soldaten Männer. Frauen sind |
| 12 | | die Opfer, um so mehr, als in modernen Kriegen keine Unterscheidung zwischen |
| 13 | | Kämpfenden und Bevölkerung mehr möglich ist. Frauen dagegen scheinen offener Gewalt |
| 14 | | abgeneigter zu sein und sich bei Konflikten kooperativer zu verhalten. Teile der |
| 15 | | Frauenfriedensbewegung beriefen sich ausdrücklich auf diese weiblichen Qualitäten. |
3 | 16 | | Aber hat all dies nicht viel mehr mit den Machtverhältnissen zu tun, mit sozial (nicht |
| 17 | | genetisch!) bedingten Geschlechtsunterschieden? Wer die Macht hat, kann auch die |
| 18 | | Regeln bestimmen, was wiederum zur Verfestigung von Macht beiträgt. Männer |
| 19 | | definierten, daß männlich gleich kämpferisch ist (und umgekehrt), daß, wer sich dem |
| 20 | | Kampf entzieht, als feige und weibisch gilt. Auch viele Frauen teilen immer noch dieses |
| 21 | | Vorurteil und verstärken damit seine Wirksamkeit. |
4 | 22 | | Dabei ist der Armee-Alltag keineswegs von angeblich so männlichen Tugenden wie |
| 23 | | Mut und Eigenständigkeit bestimmt. Damit Militär funktioniert, ist Unterordnung und |
| 24 | | Gehorsam erforderlich, nicht der Kampfesmut des einzelnen. Wenn das Bild des |
| 25 | | martialischen Kämpfers immer noch so viel Faszination ausübt, so vielleicht gerade, weil |
| 26 | | es in der Wirklichkeit keinen Platz hat. |
5 | 27 | | Frauen kommen in der Welt des Militärs kaum vor - doch das heißt nicht, daß der |
| 28 | | »Männerbund« ohne sie auskommt. So ist es denn auch fast immer die Verteidigung |
| 29 | | »hilfloser« Frauen und Kinder gewesen, mit der die leere Hülse vom Krieg für Freiheit |
| 30 | | und Vaterland gefüllt wurde. Dabei war in Wirklichkeit die Verteidigung oft genug ein |
| 31 | | Angriff; lieber »beschützte« man die Opfer, als den Krieg als Mittel des |
| 32 | | Konfliktaustragens in Frage zu stellen. |
6 | 33 | | Auf die weibliche Friedfertigkeit beziehen sich nicht nur Frauen, sondern auch |
| 34 | | Männer, die darin eine Chance zur Überwindung der durch männliche Aggression |
| 35 | | entstandenen Gefahren sehen. Doch der Blick in die Geschichte zeigt schnell, daß die |
| 36 | | angeblich angeborene Friedfertigkeit der Frau nicht mehr ist als ein männliches |
| 37 | | Geistesprodukt - mit der Funktion, Frauen von der Macht fernzuhalten. Die Gewährung |
| 38 | | voller Menschen- und Bürgerrechte war immer eng mit dem Recht verknüpft, Waffen zu |
| 39 | | tragen und zu benutzen. |
7 | 40 | | Die Kehrseite des »friedfertigen« ist das »schwache« Geschlecht, unfähig, sich selbst |
| 41 | | zu schützen, unfähig, Macht auszuüben. Wollen Frauen sich wirklich auf dieses Bild, das |
| 42 | | Männer von ihnen entworfen haben, berufen? Zudem gibt es genügend Beispiele, die |
| 43 | | diese Rollenzuschreibung widerlegen. Oder wollen wir alle kämpfenden und |
| 44 | | kämpferischen Frauen als Monstren abtun und die Männersicht teilen, daß zwar Männer |
| 45 | | »wie Löwen« kämpfen sollen, aggressive Frauen aber mit Hyänen verglichen werden? |
8 | 46 | | Wenn viele Frauen heute Krieg und Rüstung kritisieren und sie als eine zerstörerische |
| 47 | | Auswirkung des patriarchalischen Systems beschreiben, geschieht das nicht aus |
| 48 | | irgendeiner »natürlichen Verbundenheit mit dem Leben« oder weil sie »zu Grausamkeit |
| 49 | | und Unterdrückung unfähig« wären. Zu viele Erfahrungen beweisen leider das Gegenteil |
| 50 | | - vor allem was die passive Duldung von Unrecht angeht. Aber Frauen haben eine |
| 51 | | Außenseiterinnenposition inne, aus der heraus sie die Ungeheuerlichkeiten dieses |
| 52 | | waffenstarrenden »Sicherheitssystems« besonders deutlich wahrnehmen können. |
9 | 53 | | Sollten Frauen nicht sogar lernen, aggressiver (wohlgemerkt: nicht gewalttätiger!) zu |
| 54 | | sein? Sollten sie nicht energischer den Anspruch auf Macht erheben, gerade um so auch |
| 55 | | den Umgang mit ihr zu verändern, damit nicht ein weiteres Mal die Chance vertan wird, |
| 56 | | die starre Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern aufzubrechen? |
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