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Laut ertönt der Ruf nach dem Fitneßlehrer

Laut ertönt der Ruf nach dem Fitneßlehrer

11    Der Markt zeigt alle Anzeichen eines veritablen Booms, der Artikel verkauft sich
2 wirklich glänzend, ob er aber dem Käufer den Nutzen bringt, den er verspricht, darüber
3 herrscht eine bestürzende Unsicherheit und das nicht allein beim ach so geschätzten König
4 Kunde. Fitneß ist in und dem Bundesbürger teuer: Etwa 1,8 Millionen ertüchtigen sich
5 angeblich derzeit in den 4500 privatwirtschaftlichen Fitneß-Centern, und das
6 Marktvolumen betrug im Jahre 1989 geschätzt mehr als vier Milliarden Mark. Goldene
7 Zeiten des Gesundheitsbewußtseins.
28    Mitnichten, meint der Sportexperte der CDU Engelbert Nelle, von einer
9 sportfachlichen und gesundheitsgerechten Betreuung in den Fitneß-Studios könne »kaum
10 die Rede sein«, Er kann sich auf eine Studie der Stiftung Warentest stützen, die 67 Studios
11 durch zehn ihrer Mitarbeiter erproben ließ. Die stellten bei den Betreuern, die sich teils
12 »lizenzierter Studioleiter« oder »Fitneßlehrer« nennen, schwerwiegende Defizite fest . Nur
13 bei jedem dritten Falschverhalten sei der Trainer dem Neuling hilfreich beigesprungen,
14 nach seinem Gesundheitszustand sei häufig nicht einmal gefragt worden. Kein Wunder,
15 daß nach solchen und anderen Erlebnissen die Branche der Muskelbildner nicht den
16 besten Ruf genießt, von Gesundheitsgefährdung die Rede ist statt von Lebenshilfe. Und
17 der Wildwuchs wuchert weiter.
318    Abhilfe könnte der staatlich geprüfte Fitneßlehrer schaffen, den die kürzlich
19 gegründete Deutsche Fitneßlehrer Vereinigung (dflv) vom Gesetzgeber fordert. Claus
20 Umbach (Baunatal), Präsident dieses eingetragenen Vereins, wendet sich an die Politik,
21 wenn er sagt: »Wir brauchen eine fundamentale Ausbildung mit einem Berufsbild«, die
22 eines Fachsportlehrers nach Art des Tennis- oder Skilehrers.
423    Es genüge nicht, die Misere aufzuzeigen, die öffentliche Hand müsse etwas
24 unternehmen, der Sportausschuß des Bundestages endlich tätig werden. Der
25 »Mondschein-Sachen« gebe es in der Fitneßlehrer-Ausbildung nachgerade genug, etwa
26 den Schnellkurs von 32 Stunden. »Das Problem ist allen bekannt, doch es wird nicht
27 reagiert.« Bisher maßgebend ist allein die Gewerbeordnung, und die verlangt von den
28 Untemehmem der Sportstudios keinerlei Voraussetzungen.
529    Umbach gehört dem Bundesverband Deutscher Gewichtheber (BVDG) an, der seit
30 fünf Jahren an seine Trainingsleiter A, B und C nach jeweils 60 Stunden Ausbildung
31 Lizenzen vergibt. Seit Anfang der achtziger Jahre bereitet der BVDG-Breitensport-
32 referent Lothar Spitz zusammen mit dem Gerätehersteller Josef Schnell unter anderen
33 auch Studiotrainer in Weiterbildungslehrgängen auf ihre verantwortungsvolle Aufgabe
34 vor. Daß nun die Gewichtheber die alleinige Fachkompetenz beanspruchen für das
35 Fitneßtraining, das sehen andere Fachverbände nicht eben gem. »Das würde schon einige
36 andere Bereiche mit tangieren«, bestätigt Spitz, doch hätten die Heber bereits
37 entsprechende Vorleistungen vorzuweisen wie die Aktion »Fit x 5« und Kennenlerntage.
38 Andere stecken mit ihren Überlegungen noch in den Kinderschuhen, offensichtlich selbst
39 die große Turnbewegung.
640    Auch die neugegründete Fitneßlehrer-Vereinigung will demnächst Antrag auf
41 Aufnahme in den BVDG stellen. »Mehr und mehr Menschen«, so heißt es in ihrem
42 Prospekt für den Fitneßlehrer, »auch solche, die derzeit noch wartend am Ufer stehen,
43 werden bald ins Wasser der Fitneß-Flut springen«, um Gesundheitsprobleme zu beheben
44 oder Lebensqualität zu gewinnnen. Nicht allein die 19- bis 30jährigen, die heute
45 60 Prozent der regelmäßigen Studiobesucher stellen. »Die Ausbildung könnte am 1.1.1991
46 beginnen«, beteuert dflv-Präsident Umbach, eine Ausbildung, wie sie an keiner deutschen
47 Universität angeboten werde. In zwei bis vier Jahren könnten die ersten von einer
48 staatlichen Kommission geprüften Fitneßlehrer mit Gewinn auf den fitneßbewußten
49 Bürger losgelassen werden.
50 Sie hätten dann eine Grundausbildung von 270 und eine Fachausbildung von 550
51 Stunden Dauer absolviert, längere Praktika eingeschlossen, und könnten an
52 Volkshochschulen ebenso eingesetzt werden wie in Sportvereinen und kommerziellen
53 Unternehmen, »Seiteneinsteiger« wie Sportlehrer und Physiotherapeuten eingeschlossen.
54 Der »Fitmacher« für jedermann - keine Utopie mehr, doch gut Ding will bekanntlich
55 Weile haben, besonders beim Gesetzgeber. Umbach bleibt Optimist: »Es gibt sehr wohl
56 einen Ansatz.« Nicht allein im Bundesausschuß für Ausbildung des Deutschen
57 57 Sportbundes, selbst im Frauenausschuß der CDU Schleswig-Holstein oder auch im
58 58 bayerischen Kultusministerium.

Süddeutsche Zeitung, 30.6.1990