1 | 1 | | Auf Grund des Betäubungsmittelgesetzes wurden in der Schweiz von 1980 bis 1986 |
| 2 | | 121 Ausländerinnen, wovon ein Drittel aus Südamerika stammend, zu hohen |
| 3 | | Zuchthausstrafen verurteilt; sie hatten - als »Eselinnen«, wie der Jargon-Ausdruck lautet, |
| 4 | | - Kurierdienste für den Drogenhandel ausgeübt. Ihnen war die Sendung »Die Schweiz |
| 5 | | kennen wir nicht, nur diese Hölle hier« vom vergangenen Donnerstagabend gewidmet. Sie |
| 6 | | stützte sich auf Interviews, die Ruedi Leuthold, Autor eines diesen Straffällen |
| 7 | | gewidmeten, soeben erschienenen Buches, im vergangenen Herbst in der Strafanstalt |
| 8 | | Hindelbank bei Bern durchführen konnte. |
2 | 9 | | Die ab und zu im Original eingeblendeten Aussagen dieser aus Kolumbien, |
| 10 | | Bolivien und Chile stammenden Frauen wurden von mehreren Sprecherinnen einfühlend |
| 11 | | wiedergegeben. Untermalt waren sie durch melancholisch-monotone Flötenklänge und |
| 12 | | durch den immer wieder ins Leidenschaftliche gesteigerten Gesang einer Frauenstimme. |
| 13 | | Dies alles schuf eine einheitliche (einseitige?) Stimmung, ganz im Sinne des Untertitels |
| 14 | | der Sendung (»Stimmen und Stimmungen der südamerikanischen |
| 15 | | Drogenschmugglerinnen«). Nur dreimal war die Stimme eines Sprechers zu vernehmen, |
| 16 | | der den Text eines Gerichtsurteils verlas und - zu kurz - Fragen rund um die |
| 17 | | Gesetzgebung und um eine eventuelle Amnestie darlegte. |
3 | 18 | | Die Aussagen der Südamerikanerinnen, als Lebensläufe und Erlebnisberichte |
| 19 | | aneinandergereiht, teilweise auch als Stimmungscollagen montiert, ließen den Hörer |
| 20 | | Einblick in die Tiefen, ja Abgründe dieses Kontinents tun. Da war fast immer die Rede |
| 21 | | von der Armut kinderreicher Familien, von früher Heirat, von Trunksucht und Brutalität, |
| 22 | | ja von Mord. Und dann, in einer Notlage, nahmen diese jungen Frauen Kontakt auf mit |
| 23 | | Vertretern der Drogenmafia, die sie zu einer »Reise« anwarben und dafür, je nach Fall, |
| 24 | | 3000 bis 10 000 Dollar anboten. Plastisch war der Bericht der Bolivianerin, die im |
| 25 | | F1ugzeug nach Rio de Janeiro einen »Gürtel« anziehen mußte und deren Nerven auf |
| 26 | | dem F1ughafen von Genf versagten ... Polizei und Gerichtsbehörden in der Schweiz taten |
| 27 | | ihre Arbeit; so wurde die »Eselin«, die 1,5 Kilo Kokain geschmuggelt hatte, als schwerer |
| 28 | | Fall eingestuft und mit viereinhalb Jahren Zuchthaus bestraft. |
4 | 29 | | Begreiflich, daß manche (die meisten?) der Verurteilten jetzt verbittert sind, ja sich |
| 30 | | in einen Haß gegen unser Land hineingesteigert haben. Da spricht die eine von |
| 31 | | »Nazi-Methoden«: eine andere vermutete, man wolle sie mit der Kälte in der Zelle |
| 32 | | foltern - und dabei hätte sie das Fenster ganz einfach selbst schließen können. Daß es |
| 33 | | mit der Behandlung in Hindelbank nicht so arg bestellt sein kann, das deuten schon die |
| 34 | | hohen Pensionskosten (50000 Franken im Jahr pro Person) an. Übrig bleiben immerhin |
| 35 | | die Klagen über mangelhafte oder fehlende Übersetzung bei der Gerichtsverhandlung, |
| 36 | | Klagen, die man hier unabgeklärt im Raum hat stehen lassen. |
5 | 37 | | Bei ihrem »Gegenangriff« verfehlen es die Gefangenen nicht, den Schweizern einen |
| 38 | | Spiegel vorzuhalten: »Kalt wie der Schnee« seien wir; wir hätten Angst, unsere Gefühle |
| 39 | | zu zeigen; ein »Fieber nach Geld« habe uns gepackt. In einen Zerrspiegel lassen sie |
| 40 | | freilich dort blicken, wo sie gleichzeitig auch die Tierliebe kritisieren und wo sie meinen, |
| 41 | | es gebe »bei der Polizei« Leute, die nur dann ruhig schlafen könnten, wenn sie ein Leben |
| 42 | | zerstört hätten. Wenn die Südamerikanerinnen meinen, sie könnten nichts dafür, daß bei |
| 43 | | uns schon 12jährige drogensüchtig seien, so haben sie eigentlich nicht unrecht. An dieser |
| 44 | | Stelle hätte die Sendung ins Drogenproblem blenden können, tat es aber in vertretbarer |
| 45 | | Selbstbeschränkung nicht. Ebenso verzichtete sie darauf, noch in den Dschungel des |
| 46 | | Drogenhandels zu führen; einziger und unheimlicher Hinweis war die Aussage zweier |
| 47 | | dieser »Eselinnen«, sie hätten aus Angst vor Repressalien und Rache die Namen ihrer |
| 48 | | Auftraggeber nicht preisgegeben. |