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Chancen in Japan

11    In fünf Wochen öffnen sich in Tokio die Tore der »Leistungsschau der deutschen
2 Industrie«, Dann wird sich zeigen, ob deutsche Unternehmer noch in der Lage sind, die
3 Japaner zu beeindrucken. Unmöglich ist das nicht. Denn auch wenn die Wunderknaben
4 aus dem Fernen Osten inzwischen auf vielen Gebieten ihre ehemaligen Lehrmeister
5 eingeholt oder sogar überholt haben, so gilt dies keineswegs für alle Bereiche. Und was
6 für technische Spitzenleistungen, Produktgestaltung, Anwender-Know-how oder
7 Gesamtexport gilt, lässt sich auch über die Produktivität sagen.
28    Ob die deutsche Leistungsschau ein Erfolg wird, hängt aber nicht nur davon ab,
9 welche Produkte die teilnehmenden Firmen präsentieren. Von großer Bedeutung wird
10 auch sein, wie die Vertreter der großen und kleinen Unternehmen auftreten. Im durchaus
11 berechtigten Stolz auf ihre Erfolge neigen nämlich inzwischen viele Japaner dazu, sich
12 für unschlagbar zu halten und auf die Konkurrenz mitleidig herabzusehen - selbst da, wo
13 es dafür sachlich gar keinen Grund gibt.
314    Schuld daran ist nicht zuletzt die Wehleidigkeit der Europäer. Statt ebenso
15 konsequent, intensiv und aggressiv in den fernöstlichen Markt einzudringen, wie dies
16 umgekehrt die Japaner auf den fremden Märkten taten, verlegten sie sich vielfach aufs
17 Jammern. Statt die fernöstliche Herausforderung anzunehmen, forderten sie staatliche
18 Hilfe. Auch wenn das Wehgeschrei oft nur für den Hausgebrauch gedacht war - etwa urn
19 die Politiker von weiteren Versuchen abzuschrecken, die Belastbarkeit der Wirtschaft zu
20 erproben, oder die Gewerkschaften von höheren Lohnforderungen abzuhalten -, so sind
21 die ewigen Klagen auch außerhalb der eigenen Grenzen nicht ungehört verhallt. Wenn
22 die Europäer selbst ständig darüber klagen, dass ihre eigenen Produkte zu teuer und
23 qualitativ unterlegen sind, warum sollen andere sie dann kaufen?
424    Die Leistungsschau bietet die Chance, an dem inzwischen etwas getrübten
25 Deutschlandbild der Japaner einige notwendige Retuschen anzubringen. Sie bietet aber
26 auch die Möglichkeit, den Markt des Inselreiches etwas genauer in Augenschein zu
27 nehmen. Denn damit, einige noch so interessante Produkte allein auf die Reise zu
28 schicken, ist es natürlich nicht getan. Bei dieser Gelegenheit könnte mancher deutsche
29 Unternehmer feststellen, dass sich nicht nur Exporte, sondern auch Investitionen in
30 diesem Markt mit seinen 120 Millionen kaufkräftigen Verbrauchern auszahlen könnten 31
31 und dass es Regionen in Japan gibt, in denen deutsche Investitoren geradezu sehnsüchtig
32 erwartet werden. Dazu zählt zum Beispiel Hokkaido: Erschlossenes Industriegelände zu
33 günstigen Preisen steht bereit; eine Einladung des Gouverneurs zu einer
34 Besichtigungsreise findet jeder Aussteller in seinen Unterlagen.
535    Aber auch wer »nur« exportieren will, ist heute in Japan willkommen. Die
36 Regierung in Tokio weiß, dass die Einfuhren steigen müssen, wenn die eigenen
37 Exporteure in Übersee nicht auf immer größere politische Widerstände stoßen sollen. Sie
38 hat deshalb nicht nur die Zölle drastisch gesenkt und zahlreiche andere
39 Handelshemmnisse beseitigt. Sie hat auch der Außenhandelsorganisation Jetro völlig
40 neue Aufgaben gestellt. Einst als Stoßtrupp der japanischen Exportindustrie gegründet,
41 dient sie jetzt immer mehr dazu, ausländischen Unternehmen bei ihren ersten Schritten
42 auf dem japanischen Markt zu helfen.
643    Die zur Eröffnung der Leistungsschau einfliegenden Spitzenvertreter der deutschen
44 Wirtschaft sollten die Gunst der Stunde nutzen. Eine so gute Chance, alte Fehler
45 wiedergutzumachen, kommt so bald nicht wieder.
Die Zeil. 16.03.1984