1 | 1 | | Heiner Geißler zog zufrieden Bilanz. Das neue Kriegsdienstverweigerungsgesetz, |
| 2 | | freute sich der Bundesfamilienminister, habe sich bestens bewährt. Die Verlängerung des |
| 3 | | Zivildienstes von vorher 16 auf nun 20 Monate und seine Ausgestaltung zur »lästigen |
| 4 | | Alternative« - bequeme Bürojobs soll es nicht mehr geben - habe endlich »die Spreu |
| 5 | | vom Weizen gesondert«. dass die Probe aufs Gewissen jetzt funktioniert, dar an lassen |
| 6 | | nach Geißlers Ansicht die Zahlen keinen Zweifel: Nur noch rund 44000 Anträge auf |
| 7 | | Kriegsdienstverweigerung wurden 1984 gestellt - 35 Prozent weniger als im Jahr davor. |
2 | 8 | | Aus der Sicht seiner Kritiker geht die Rechnung des Ministers nicht auf. Geiß1er |
| 9 | | lege an die vom Grundgesetz geschützte Gewissensfreiheit einen »völlig sachfremden |
| 10 | | Maßstab« an, empört sich Pastor Ulrich Finckh, Vorsitzender der Zentralstelle für Recht |
| 11 | | und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen in Bremen: »Es hat sich |
| 12 | | nichts zum Positiven verändert. Die Diskriminierung hat sich lediglich verlagert.« Für |
| 13 | | den Bremer Pfarrer ist es »schlimm, dass das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung |
| 14 | | mit einem längeren Dienst erkauft werden muss, Die verlängerte Dienstzeit ist ein |
| 15 | | Unrecht.« |
3 | 16 | | Selbst einstige Skeptiker geben indes freimütig zu, das am 1. Januar 1984 in Kraft |
| 17 | | getretene neue Kriegsdienstverweigerungsrecht habe für die Betroffenen manche |
| 18 | | Erleichterung gebracht. Nachdem das Bundesverfassungsgericht 1978 das |
| 19 | | »Postkartengesetz« der sozial-liberalen Koalition verworfen hatte, drückte die Regierung |
| 20 | | Kohl gleich nach ihrem Amtsantritt im Eilverfahren ein neues Gesetz im Bundestag |
| 21 | | durch. Sein Kerngedanke: Die von allen Beteiligten als hochnotpeinlich empfundene |
| 22 | | mündliche Gewissenserforschung wird abgeschafft und durch ein schriftliches Verfahren |
| 23 | | beim Bundesamt für den Zivildienst ersetzt. Die Bereitschaft, einen im Vergleich zum |
| 24 | | Grundwehrdienst um ein Drittel, gegenwärtig also fünf Monate, längeren Ersatzdienst zu |
| 25 | | leisten, gilt in der Rechtsprechung seither als »tragendes Indiz« für eine ernsthafte |
| 26 | | Gewissensentscheidung. |
4 | 27 | | Übereinstimmend wird die bisherige Prüfungspraxis des Kölner Bundesamtes als |
| 28 | | liberal und zügig gelobt. Pastor Martin Hennig, Beauftragter für Kriegsdienstverweigerer |
| 29 | | der nordelbischen Landeskirche, nennt sie »nicht nur korrekt, sondern großzügig. Das |
| 30 | | Bundesamt erkennt gegenwärtig an, was anerkannt werden kann.« |
5 | 31 | | In der Tat: Den 24000 Anerkennungen, die das Kölner Amt 1984 ausgesprochen |
| 32 | | hat, stehen nur 63 Ablehnungen aus sachlichen Gründen gegenüber. Weitere 1014 |
| 33 | | Antragsteller wurden abgewiesen, weil sie trotz wiederholter Aufforderung ihre |
| 34 | | Unterlagen nicht vervollständigt hatten. Dauerte es früher oft Monate oder gar Jahre, bis |
| 35 | | über einen Antrag entschieden war, so hat der Antragsteller heute seinen Bescheid nach |
| 36 | | wenigen Wochen in der Hand. »Wenn der Antrag vollständig ist«, sagt Ulrich Sablautzki, |
| 37 | | Pressesprecher des Bundesamtes, »kann er in zwei Wochen bearbeitet werden.« |
6 | 38 | | Manchmal geht es sogar noch schneller. Anträge wurden schon innerhalb von fünf |
| 39 | | Tagen anerkannt. Als ein »Ruckzuck-Verfahren« empfand es der neunzehnjährige Olivier |
| 40 | | O. aus Hamburg. Drei Wochen, nachdem er seine Unterlagen beim Kreiswehrersatzamt |
| 41 | | eingereicht hatte, war er als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. »Es lief alles glatt. Ich |
| 42 | | bin natürlich froh darüber.« |