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Der junge deutsche Film

11    Max Liebermanns berühmtes Diktum »Kunst kommt von Können, wenn sie von
2 Wollen käme, müsste es Wulst heißen« gilt auch für den Film , zum al für den deutschen.
3 Sein geringer Marktanteil (14 Prozent deutsche gegen 60 Prozent amerikanische Filme im
4 Jahr 1983) hängt auch damit zusammen, dass die Absichten oft hochherzig sind, die
5 filmischen Mittel hingegen bescheiden. Das erste Gebot der Filmkunst, dal3sie alles sein
6 darf, nur nicht langweilig, gilt nicht viel in diesem Land.
27    Der inzwischen gängige Vorwurf, den sich auch Bundesinnenminister
8 Zimmermann zu eigen gemacht hat , lautet: Der junge deutsche Film verfehle sein
9 Publikum. Das ist richtig. Die Frage, woran das liegt, lässt sich nicht schnell beantworten.
10 Der Mangel an künstlerischen Talenten, an guten Drehbuchautoren und an fähigen
11 Produzenten - das ist ein entscheidender Hinderungsgrund, aber nicht der einzige. Es
12 liegt auch am Publikum und seinen Erwartungen. Hollywoodfilme, hergestellt mit
13 vergleichsweise riesigen Budgets, beherrschen den Markt, und ihre Ästhetik, von
14 »Dallas« bis »Indiana Jones«, blendet die Augen der Zuschauer. Tempo, Spannung,
15 Perfektion um jeden Preis, der gnadenlose Sensationskitzel und die gewaltige optische
16 Lautstärke dieser Ästhetik haben die Sehgewohnheiten verändert, subtilere
17 Wahrnehmungen abgestumpft.
318    Leise und nachdenkliche Filme, die ihre Bilder sorgsam entfalten, die einen
19 ungewohnten Erzählrhythmus haben und die andere Fragen stellen, haben nur eine
20 geringe Chance. Das gilt nicht blol3 für die deutschen Jungfilmer, sondern auch für die
21 französischen Klassiker der Moderne wie Bresson oder Resnais, die nur noch in wenigen
22 Grol3stadtkinos ihr Publikum finden. Gefragt sind Filme, die sich der atemlosen
23 Hollywoodästhetik anpassen. Sie bildet den Mal3stab des Erfolgs. Aber dabei kommen
24 nur Imitationen heraus.
425    »Der Film will heute seiner Sache sicher sein. Und das ist seine Krise. Früher, als er
26 unsicher war und noch gefährlich, war er noch nicht gefährdet. Heute versucht er, ein
27 erprobtes Unterhaltungsmittel zu werden, das sich seine Konventionen zurecht baut, auf
28 die es sich verlassen kann, ängstlich Rückschau hält nach erprobten Rezepten, statt
29 Ausschau nach dem Geheimnisvollen, von dem noch niemand was weiß.« Das schrieb
30 Max Ophüls 1956, ein Jahr vor seinem Tod. Und er sagte: » Ich glaube, die Angst um den
31 Erfolg ist international geworden, oder sagen wir besser: Man kann sich keinen Irrtum
32 mehr leisten. Man läuft mehr und mehr dem nach, was man den 'etablierten Geschmack
33 der Masse' nennt. Und woraus soll man denn lernen, wenn nicht aus seinen Irrtümern?
34 Es gibt keine Kunst ohne Irrtum. «
 
Die Zeil, 1.2.1985