1 | 1 | | Vor allem an Eltern und Familien von homosexuellen jungen Menschen beiden |
| 2 | | Geschlechts sollten sich die fünf halbstündigen Beiträge wenden, die in der vergangenen |
| 3 | | Woche jeweils zu Beginn des Nachmittagsmagazins von Radio DRS 1, Mosaik, den |
| 4 | | thematischen Schwerpunkt setzten. Dieses Anliegen allein zeigt, daê Homosexualität zu |
| 5 | | einem grofsen Teil auch immer das Problem des Umfelds der andern ist. Sie müssen |
| 6 | | damit umzugehen lernen, nicht zuletzt, um dem sich zu seiner Neigung Bekennenden das |
| 7 | | Dasein nicht zusätzlich zu erschweren. |
2 | 8 | | Einer Reihe von Selbstzeugnissen von Männern und Frauen war je einer der |
| 9 | | Beiträge gewidmet. Auf die Entdeckung der von den Erwartungen der Umwelt, |
| 10 | | insbesondere der Eltern, abweichenden Veranlagung reagieren die meisten zunächst mit |
| 11 | | Angst und Abwehr, suchen nach Erklärungen und sind bemüht, möglichst niemanden |
| 12 | | Einblick in ihre Gefühlswelt nehmen zu lassen. Während die Eltern, einmal ins Bild |
| 13 | | gesetzt, Schuld bei sich selber oder außerhalb der Familie suchen und gleichzeitig |
| 14 | | Hoffnung auf »Genesung« ihres Kindes hegen, findet der Sohn oder die Tochter |
| 15 | | vielleicht - vor allem in großen Städten, die denn auch eine entsprechende Sogwirkung |
| 16 | | ausüben - Aufnahme in einer homosexuellen Arbeitsgruppe. Mit diesem Rückhalt kann |
| 17 | | der Weg des »coming out« gegangen werden, des Akzeptierens und des Vertretens der |
| 18 | | homosexuellen Identität nach außen. |
3 | 19 | | Nicht alle Berichtenden gingen jedoch diesen Weg. F1ucht in eine Ehe oder |
| 20 | | dauernde Geheimhaltung vor Eltern, Freunden und Arbeitskollegen sind für manche |
| 21 | | immer noch das Schicksal. Einzelne Aussagen machten aber auch deutlich, dass wie bei |
| 22 | | anderen Minderheiten auch bei den gleichgeschlechtlich Liebenden die Emanzipation |
| 23 | | sehr deutIich ihren Niederschlag in der Sprache findet. So hat das Wort »schwul« hier |
| 24 | | jegliche negative Wertung verloren und hat sich zum Etikett der stolzen, bekennenden |
| 25 | | Selbstcharakterisierung von Homosexuellen beiden Geschlechts gewandelt. |
4 | 26 | | In der Mitte der Beitragsreihe stand ein Gespräch mit dem Psychotherapeuten und |
| 27 | | Psychiater Werner Bucher. Hier gab es Gelegenheit, Theorien zur Entstehung der |
| 28 | | Homosexualität zu erörtern. Der Arzt stellte klar, dass es keine einfache und schlüssige |
| 29 | | Erklärung dafür geben kann, weshalb ein Individuum seine homophilen Komponenten |
| 30 | | stärker entwickelt als ein anderes und sich dafür entscheidet, diese auch zu leben. Er |
| 31 | | machte auch darauf aufmerksam, daß im Laufe jeder Psychoanalyse auch bei |
| 32 | | heterosexuell Lebenden die homoerotische Seite zum Vorschein komme und dass sich in |
| 33 | | diesem Zusammenhang die Frage nach ihrer Realisierung nicht selten stelle. |