| | Viele lesen sicherlich die Zeitung von hinten nach vorn; sie beginnen mit dem Sportteil, kommen |
| | dann zum Wirtschaftsteil und zuletzt zur Politik. Ein bekannter amerikanischer Politiker, der auch |
| | so vorging, meinte, das sei eine natürliche Lesefolge. Denn man wolle wohl immer erst etwas über |
| | menschliche Leistungen erfahren, bevor man dann auf den ersten Seiten zu den Fehlleistungen |
5 | | komme. Sport und Wirtschaft liegen aber nicht nur als Berichtsteile der Tageszeitungen beiein- |
| | ander. Sie haben auch sonst sehr viele Berührungspunkte. |
| | Oft sind es Bilder oder Begriffe aus dem Sport, die Vorgänge im Wirtschaftsleben besonders |
| | plastisch veranschaulichen. Schon das macht deutlich, dass viele Bezugsgrößen diesen beiden |
| | Bereichen offenbar gemeinsam sind. Die zweifelsohne wichtigste Bezugsgröße aber heißt Leistung. |
10 | | Sport wie Wirtschaft verlangen Leistung. |
| | Gleichwohl streben verschiedene Ideologen danach - sowohl im Wirtschaftsleben wie im |
| | Sport -, das Leistungsmotiv zu beseitigen; im Bereich der Wirtschaft zum Beispiel, indem man |
| | eine Vielzahl von wirtschaftlichen Vorgängen als staatliche Veranstaltung gestalten will. Man |
| | glaubt, alles werde dann menschlicher. Ein Blick in die Länder, die Wirtschaft als staatliche |
15 | | Veranstaltung organisieren, reicht eigentlich aus, um nachzuweisen, welch ein Irrglaube dahinter |
| | steht. Jene Versuche in der Bundesrepublik, Schulzeit oder Studium ohne Leistungszeugnisse |
| | abwickeln zu wollen, führen zu Absolventen, von denen man bei einer Einstellung ins Arbeitsleben |
| | Abstand nimmt, weil man ja gar nichts über ihr Können weiß. Es gab auch einmal jene Versuche, |
| | wie sie zum Beispiel in den sechziger Jahren vom Institut für Leibeserziehungen an der Universität |
20 | | Mainz durchgeführt wurden, nämlich ein Fußballspiel ohne Tore und Torwarte durchzusetzen, was |
| | aber aufgrund des fehlenden Leistungsziels - von Toren also - zwangsläufig scheitern musste. |
| | All jene, die angetreten sind, Leistung als ein Relikt spätkapitalistischer Denkweise zu verdam- |
| | men, haben schnell einsehen müssen, dass die Ausdrucksformen von Leistung und Wettbewerb zur |
| | Humanisierung unserer Welt gehören und ihre Beseitigung zur Enthumanisierung führt. |
25 | | Viele haben es schon erlebt, wie befriedigend, selbst bestätigend und motivierend das Erleben |
| | eines errungenen Sieges oder erreichter Punkte im Sport ist. Sport ist folglich wie Wirtschaft auch |
| | keine wertfreie Anstrengung des Menschen. Beide haben Wert für den einzelnen, aber darüber |
| | hinaus auch für die Gemeinschaft, in der wir leben. Leistung in der Wirtschaft wie im Sport ist |
| | Pflicht auch gegenüber denjenigen, die nicht leisten können. Das heißt: In der sozialen Marktwirt- |
30 | | schaft, unserem Wirtschaftssystem, wird erwirtschaftetes Leistungseinkommen an jene umverteilt, |
| | die nicht leisten können, weil sie schwach oder krank sind. Und das ist gut so. |
| | Im Sport gibt es natürlich keine soziale Umverteilung. Dort gibt es etwas anderes; Sport ist |
| | in der Regel auch Angebot von Leistung zur Freude derjenigen, die nur passiv Vereinsmitglied |
| | sein können oder gar nur passiv sportlichen Leistungen zuschauen können. Und das schließt dann |
35 | | auch gleich die Antwort auf die Frage nach dem Sinn und dem Wert des Höchstleistungssports |
| | oder des professionellen Sports ein, zwei Bereiche, in denen sich materiell eine - wie die |
| | genannten Ideologen meinen - unselige Verquickung zwischen wirtschaftlichen Interessen und |
| | dem Sport abspielt. |
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Aus einer Festansprache des Präsidenten des
Deutschen Industrie- und Handelstages,
Otto Wolff von Amerongen, zum Thema
"Wirtschaft und Sport"
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.1.1983
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