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Der Umschlag

  DER UMSCHLAG

    Es ist noch nicht lange her, daß deutsche Verleger sich vom Herstellen von Taschenbüchern den
 Ausweg aus allen denkbaren Krisen versprachen. Sie hatten dazu guten Grund. Seit Ernst Rowohlt das
 Taschenbuch in der Bundesrepublik eingeführt hatte, gab es nur einen wachsenden Markt und
 steigende Verkaufszahlen. Das Taschenbuch lag nicht nur im Trend, es war es selbst. Es war das
5 Buch für die jüngere Generation, die nicht mehr im "schönen" Buch, in "repräsentativer"
 Bibliothek, in "guter Ausgabe" dachte. Das Taschenbuch half, Bücher billig zu machen und Titel
 wiederaufzulegen, die man als gebundenes Buch noch einmal zu verlegen sich scheute. Der Erfolg
 veränderte alle Kategorien. War das Taschenbuch zunächst nur eine Form der Zweitverwertung
 von Titeln, so wurde es bald auch für die Wissenschaften und für Erstausgaben genutzt. Die
10 Taschenbuchproduktion glich schließlich in Verlagen wie S. Fischer oder Rowohlt die roten
 Zahlen der Hardcoverproduktion aus. Noch im vergangenen Jahr war die Zuversicht unter den
 Verlegern allgemein, das Taschenbuch sei die beste Garantie für die künftige Arbeit. Nicht zuletzt
 deswegen haben Verlage wie Piper oder Lübbe noch einmal die Zahl der Taschenbuchreihen mit
 eigener Produktion erhöht. Andere - wie S. Fischer - haben den "regelmäßigen Ausstoß"
15 vergrößert.
    Monatlich kommen heute knapp fünfhundert neue Taschenbuchtitel auf den Markt, der so
 lange unbegrenzt aufnahmefähig schien. Bis etwa zum Jahresschluß. Beginnt jetzt das große
 Erwachen? In den Verlagen mehren sich die besorgten Mienen, man spricht von schrumpfenden
 Umsätzen, von unerwarteten Veränderungen. Was seit langem zu befürchten war: ein Markt
20 verstopft sich nicht nur, er macht sich selbst unübersichtlich. Zuviel Bedeutungsloses und
 Schlechtes, oft auch Unlesbares, wird produziert. Kein Buchhändler hat noch einen Überblick.
 Längst haben sie aufgegeben, Taschenbuchprogramme noch vollständig am Lager zu haben. Es
 wiederholt sich anscheinend auf dem deutschen Markt derselbe Vorgang, der vor zwei Jahren
 schon auf dem amerikanischen, der immer ein Indikator für den europäischen und speziell den
25 deutschen ist, zu beobachten war. Zugleich wissen Verleger zu berichten, daß das gebundene Buch,
 dessen Existenz man im Taschenbuchboom immer mehr schwinden sah, wieder an Interesse
 gewinnt. Es stärke sich mit dem Sinn für Qualität wieder der Sinn für die gute gebundene Ausgabe.
 Der Umschlag gilt also wohl nicht nur dem Umschlag.
 
 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.5.1983