Her mit den UniformenEinheitliche Schulkleidungkönnte soziale Spannungen unter denKindern mildern / Von Thomas Böwer | ||||||||
1 | Diese Gesellschaft ist gespalten. Schon das | wenden. Kinder und Jugendliche wachsen schnell | ||||||
Kind lernt: "Trage ich Marke, dann bin | aus den Klamotten heraus. Das tun sie allerdings | |||||||
ich." Selbst der Kanzler steht Modell. | erfahrungsgemäß aus allem. Uniformen sind alt- | |||||||
Outfit wird mit Persönlichkeit verwechselt. Die | 45 | modisch und unbequem. Tragen Mädchen | ||||||
5 | Marke und nur die Marke entscheidet über | Röcke? Keine Ahnung. Wieso bitten wir nicht ak- | ||||||
Anerkennung, Erfolg und Sozialprestige. Das ist | tuelle junge Modemacher wie Joop und seine | |||||||
brutal für diejenigen, die sich diese Art der Ver- | Nachfolger und lassen sie zusammen mit Schü- | |||||||
marktung des eigenen Images nicht leisten kön- | lern neue, zeitgemäße Schulkleidung entwickeln? | |||||||
nen. Brutal aber auch für jene, die zwar besitzen, | 50 | So viel zur praktischen Seite. | ||||||
10 | denen aber dann immer häufiger genommen | 5 | Kinder und Jugendliche haben das Recht auf | |||||
wird. Abziehen auf dem Schulweg ist bundes- | Individualität und Anerkennung, unabhängig | |||||||
deutscher Alltag. | vom Einkommen ihrer Eltern. Eine Gesellschaft | |||||||
2 | Jeder dritte Hamburger Neuntklässler hat | aber, die, gewollt oder ungewollt, die Klamotten- | ||||||
nach einer Untersuchung des Kriminologen | 55 | diktatur von Kindesbeinen an propagiert, stärkt | ||||||
15 | Christian Pfeiffer Angst vor dem Abziehen. In der | nicht das Ego, sondern fördert den Egoismus. | ||||||
gleichen repräsentativen Untersuchung geben 36 | Dem entgegenzuwirken bedarf es möglicherweise | |||||||
Prozent der 15-jährigen Schülerinnen und Schü- | auch der oft verpönten Gleichmacherei. | |||||||
ler an, Gewalt erlitten zu haben. Ein knappes | 6 | Was ist so schlimm daran, Kindern und | ||||||
Viertel wurde entweder beraubt oder erpresst. | 60 | Jugendlichen durch Erziehung zu vermitteln, dass | ||||||
20 | Und wieder melden die Statistiken steigende Kri- | es andere Formen des Ausdrucks von Persönlich- | ||||||
minalität bei Kindern und Jugendlichen für das | keit gibt, als sich im jeweils trendigen Outfit zu | |||||||
Jahr 1998. Die Öffentlichkeit ist empört. Mehr | präsentieren und somit auch von den gleichaltri- | |||||||
oder weniger sinnvolle Maßnahmen werden | gen Habenichtsen abzugrenzen. Natürlich ist die | |||||||
debattiert. Und währenddessen gilt weiterhin: | 65 | Schuluniform nur ein Symbol. Doch wieso ver- | ||||||
25 | Schule ist Laufsteg¹ und Tatort zugleich. | weigern wir bisher auf breiter Front Eltern, Schu- | ||||||
3 | Das muss sich ändern - und deshalb sei die | len und Schülern dieses Symbol? Erziehung und | ||||||
Frage gestattet: Warum ziehen wir nicht die Mar- | Wertevermittlung sind von jeher auf Symbole | |||||||
ken von der Schule ab? Machen wir Schluss mit | angewiesen. | |||||||
dem verhängnisvollen Irrtum, den wir schon unse- | 7 | 70 | Lassen wir den Versuch zu. Dann werden wir | |||||
30 | ren Kindern vermitteln, dass Kleider Leute | sehen, ob sich die Erfahrungen von kalifornischen | ||||||
machen. Eine Gesellschaft, die jungen Menschen | Schulen auf Deutschland übertragen lassen. Dort | |||||||
schon vor der ersten Rasur bedeutet, dass sie nicht | gingen die Gewaltdelikte um 50 Prozent zurück, | |||||||
auf der Habenseite aufwachsen, produziert | seitdem Jungen und Mädchen Schuluniformen | |||||||
zwangsläufig sozialen Sprengstoff. Tag für Tag. | 75 | tragen. Die gesellschaftlichen Folgekosten der | ||||||
35 | Pause für Pause. Natürlich müssen wir die tiefgrei- | Jugenddelinquenz sind auf jeden Fall um ein | ||||||
fenden gesellschaftlichen Ursachen für die Gewalt | Vielfaches höher als das einheitliche Sweatshirt, | |||||||
von Kindern an Kindern bekämpfen. Aber spricht | das an amerikanischen High-Schools neuerdings | |||||||
all dies gegen die Einführung einer einheitlichen | immer häufiger getragen wird. | |||||||
Schulkleidung an deutschen Schulen? | ||||||||
4 | 40 | Es mag ganz praktische Gründe geben, die | Die Zeit, 24.6.1999 | |||||
sich auf den ersten Blick gegen die Schuluniform |