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Klatschen schadet

Klatschen schadet

Lärmende FANS unterstützen ihre Mannschaft?
Im Gegenteil, sagt eine wissenschaftliche Studie

"Ohne die Unterstützung der Zuschauer hätten wir das Spiel verloren." "Vor dieser Kulisse macht es einfach Spaß zu spielen." So oder ähnlich klingen die Äußerungen von Bundesliga-Kickern nach gewonnenen Heimspielen. [id:6306] beklagen dann gerne den "Hexenkessel" oder die "Beeinflussung des Schiedsrichters durch die Fans". Sind die Zuschauer also nicht nur zahlendes Publikum, sondern nehmen sie als zwölfter Mann selbst Einfluss auf das Geschehen?
[id:6307] Der Münsteraner Sportpsychologe Bernd Strauß verweist in seiner Habilitationsschrift "Wenn Fans ihre Mannschaft in die Niederlage klatschen" diesen Glauben in das Reich der Mythen. Schlimmer noch: "Faktisch ist es so, dass die Anwesenheit und das Verhalten von Fans eher eine negative, wenn überhaupt eine Auswirkung hat."
Strauß' Auswertung von rund 10 000 Partien der Fußballbundesliga zwischen 1963 und 1995 zeigt erstaunliche Ergebnisse. Etwa, dass bei den Fällen, in denen die einladende Mannschaft einen Heimsieg davontrug, weniger Fans anwesend waren als im Saison-Durchschnitt. "Wenn dagegen mehr Fans ins Stadion kommen als im normalen Durchschnitt einer Saison", so der Professor am Institut für Bewegungswissenschaft in Münster, "hat die Gastmannschaft [id:6308] Chancen."
Die psychologische Erklärung: "Der einzelne Spieler fühlt sich vor vielen Fans einem großen Druck ausgesetzt und versucht seine Sache besonders gut zu machen. Das Phänomen dürfte jedem schon einmal selbst begegnet sein, egal ob im Sport oder bei einer Hochzeitsrede: Je [id:6309] die Aufgabe ist, um die es geht, desto mehr setzt sich der, der sie bewältigen muss, innerlich mit seiner Rolle auseinander statt mit der Aufgabe. Dieser Prozess der Selbstaufmerksamkeit bedingt eine hohe Fehlerquote, vor allem bei Automatismen.Wer zu lange überlegt, wie er einen Kopfball anbringt oder den Torschuss platziert, wird keinen Erfolg haben. "Je wichtiger ein Spiel, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit [id:6310] des eigentlichen Favoriten." Experten sprechen von Choking under Pressure, Leistungsverschlechterungen unter Druck - umso schlimmer für die betreffende Person, weil sie grundsätzlich motiviert ist, optimale Leistungen zu erbringen.
Nicht nur beim Fußball beeinträchtigen Anfeuerungen und öffentliche Aufmerksamkeit die Leistungsfähigkeit. [id:6311] stört besonders bei Sportarten, bei denen koordinative Fähigkeiten gefragt sind, die auf Präzision und Konzentration beruhen. Extreme Beispiele dafür sind Golf, Darts und Wettkampfschießen.
Anders ist es, wenn Ausdauer, Schnelligkeit und Kraft gefordert sind. Beim Marathonlauf sorgt schon die bloße Anwesenheit von Zuschauern für [id:6312]. Es gibt allerdings keine Sportart, die dem Athleten ausschließlich koordinative oder Ausdauerfähigkeiten abverlangt. Insbesondere bei Mannschaftssportarten wie Handball und Fußball ist [id:6213] gefragt - und ein und dieselben Fans können sowohl stimulierend als auch irritierend wirken. So kann es durchaus sein, dass ein Fußballer vor einer großen Kulisse [id:6214] und lange Strecken auf dem Rasen zurücklegt, aber eine immens hohe Fehlpass-Quote erreicht.
Dass der Einfluss der Zuschauer auch ganz ohne Effekt auf das Spielgeschehen bleiben kann, fand Strauß beim American Football heraus; wegen des statischen Spielablaufs ein geeignetes Forschungsfeld. Anhand von Aufzeichnungen der Heimspiele der Baltic Hurricanes aus Kiel im Verlauf einer Ligasaison stellte er fest, dass - wen wundert's - die Anfeuerungen der Fans und das Klatschen als Reaktion auf eine gute Aktion folgten und nicht umgekehrt. "Die Anfeuerung der Zuschauer hatte [id:6215] Einfluss auf den Raumgewinn ihrer Mannschaft." Die Fans selbst sehen das natürlich [id:6216]. Bei einer Zuschauerbefragung, die Bernd Strauß unter Zuschauern des American Football vornahm, glaubten 62 Prozent, sie könnten mit ihren Anfeuerungen den Ausgang des Spiels beeinflussen. Die Fußballvereine und Stadien-Betreiber werden sie nur allzu gerne in diesem Glauben lassen.

Michael Voregger, in: Die Woche, 18.4.2000