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Geld allein macht nicht kinderreich

 

Geld allein macht
nicht kinderreich

1    Der Vorschlag platzte in die nachrichten-    die so genannte Reproduktionsrate, die
 arme Zeit: Drei Jahre lang sollten Eltern für durchschnittliche Kinderzahl pro Frau, zwis-
 jedes ihrer Kinder 1000 Mark pro Monat chen 1980 und 1990 nach der Ausweitung
 erhalten, forderte der bayerische Minister- von Betreuungsangeboten von 1,7 auf 2,1
5 präsident Edmund Stoiber (CSU) zum45 gestiegen. Doch seitdem sank sie trotz aller
 Jahreswechsel. Seine Begründung: Der Programme wieder auf 1,5 ab. Sie liegt
 Rückgang der Geburten sei „eine tickende damit nur 0,2 Prozent über dem deutschen
 Zeitbombe“. Die Prämie solle es Paaren er- Wert.
 leichtern, sich ihren Kinderwunsch zu er-5    Viel spricht dafür, dass selbst üppige
10 füllen.50 Fördermittel eher den Zeitplan der Familien-
2    Ob und wie solche Instrumente tatsäch- gründung als den Kinderwunsch an sich
 lich wirken, ist bei Ökonomen allerdings verändern. Als in der DDR Ende der sieb-
 umstritten. Empirische Belege sind rar. ziger Jahre zahlreiche Programme für
 Sicher ist: Langfristig gibt es einen umge- Familien eingeführt wurden, stieg die Ge-
15 kehrten Zusammenhang zwischen Wohl-55 burtenziffer ebenfalls nur kurzfristig an.
 stand und Kinderreichtum. Der Bielefelder Vermutlich bekamen viele Paare ihre Kinder
 Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg einfach früher als zunächst geplant.
 spricht vom „demo-ökonomischen Para-6    Längst zweifeln viele Experten, dass
 dox2)“. In entwickelten Gesellschaften leis- ökonomische Kriterien in der Demografie-
20 ten die Menschen sich umso weniger Kin-60 debatte überhaupt weiterhelfen können. Der
 der, je mehr Kinder sie sich objektiv leisten amerikanische Nobelpreisträger Paul Samu-
 könnten. elson zum Beispiel erklärte schon vor Jah-
3    Ökonomen erklären dies vor allem durch ren, wenn Menschen sich ökonomisch
 steigende Opportunitätskosten - entgangene rational verhielten, hätten sie überhaupt
25 Einnahmen, die entstehen, weil ein Eltern-65 keine Kinder. Sein Kollege Gary Becker,
 teil wegen der Erziehung von Kindern kein ebenfalls amerikanischer Ökonom und
 Geld verdienen kann. Dies falle heutzutage Nobelpreisträger, versuchte hingegen, Nach-
 mehr ins Gewicht als Ausgaben für Klei- wuchsplanung als Ergebnis eines persön-
 dung oder Wohnraum von Kindern. Deshalb lichen ökonomischen Nutzenkalküls darzu-
30 versprechen sich viele Experten mehr von70 stellen, indem er auch Faktoren wie
 einer Ausweitung der Ganztagsschulen oder „psychische Kosten“ der Kinderlosigkeit
 einer Zunahme der Krippenplätze als von einkalkulierte. Von Demografieexperten wie
 direkten Finanzhilfen, wie sie Stoiber vor- Birg wird das als intellektuelle Spielerei
 geschlagen hat. abgetan: „Wer so vorgeht, kann auch einen
435    Aber auch bessere Betreuungsangebote75 Selbstmord als Nutzenmaximierung inter-
 ändern am langfristigen demografischen pretieren“, spottet er. „Der Erkenntnis-
 Trend vermutlich nur wenig. Dafür sprechen gewinn ist gering.“
 Erfahrungen in Schweden. Jahrelang wurde 
 das Land wegen seiner Familienförderung Elisabeth Niejahr, in: Die Zeit
40 als Vorbild gepriesen, und tatsächlich war