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Atemlos in die Tiefe



Atemlos in die Tiefe
Tauchen wird zur Droge und zum Wintersport

1    Der Funsport, die modische Variante des Freizeitund    Ähnlich wie der komfortgewöhnte Skitourist ist
 Feriensports, boomt ganz offensichtlich. Im nämlich auch der verwöhnte Tauchtourist kaum mehr
 Sommer beherrschen die Inline-Skater die Städte und45 bereit, seine Ausrüstung eine längere Strecke bis zum
 die Beach-Volleyballer die Strände, im Winter sind es Ufer oder zum Boot zu schleppen.
5 die Snowboarder, die sich immer zahlreicher auf den6    Die »Droge« Tauchen verheißt neuerdings einen
 früher nur von Skifahrern bevölkerten Berghängen noch intensiveren Kick: Nicht mehr nur das
 austoben. Weniger sichtbar, weil ausschließlich unter schwerelose Gleiten in der Wasserwunderwelt ist das
 Wasser betrieben, vermehrt sich ein weiterer,50 Ziel, vielmehr streben Extremere nun nach immer
 ganzjähriger Freizeitspaß: das Tauchen. größeren Tiefen und Zeiten. Sie nennen sich
210    Allein der Verband Deutscher Sporttaucher konnte »Apnoisten«, nach dem griechischen »Apnoe«, das so
 seine Mitgliederzahlen in den letzten acht Jahren auf viel wie Atemlosigkeit bedeutet. Es handelt sich um
 über 60 000 verdoppeln, wie er zur Fachmesse Euro einen gewollten Zustand, bei dem das natürliche
 Diving ’97 in München jetzt bekanntgab. Die55 Bedürfnis nach Atmen ausbleibt, weil der »Apnoist«
 schweigende Welt der Seen und Meere zieht, so wird durch schnelles, tiefes Ein- und Ausatmen mehrmals
15 geschätzt, etwa vier Millionen Menschen in Deutschland hintereinander sein Blut so stark mit Sauerstoff
 an, darunter eine Million Gerätetaucher. anreichert, daß er sehr viel länger als normal die Luft
3    Eine Umfrage ergab: 45 Prozent sind 30 bis 39 Jahre anhalten kann.
 alt, 30 Prozent sind Frauen. Natürlich kommt dieser760    Diese neue, nicht ungefährliche Sucht wurde durch
 Trend dem Tourismus entgegen, längst wird er den Kultfilm Im Rausch der Tiefe und einige
20 vermarktet. Europas größter Tauchreiseveranstalter Fernsehübertragungen mit Millionenpublikum noch
 konnte die Zahl seiner Kunden in den letzten Jahren gesteigert. Schon bildete sich ein Weltverband der
 vervielfachen, er stellt fest: »Tauchen ist wie eine Apnoe-Taucher, der sich um Reglements bemüht und
 Droge. Wer es einmal probiert hat, läßt es nicht65 Rekorde registriert. Bis 131 Meter tief ließ sich der
 mehr.« Italiener Umberto Pelizzari in die Tiefe ziehen, ohne
425    Weil heimische Gewässer meist nicht tief, immer Preßluft, mit einem 54-Kilo-Gewicht; drei Minuten
 aber dunkel und kalt sind, vor allem jedoch weil die und 32 Sekunden hielt er dabei die Luft an.
 aquarische Flora und Fauna in unseren Breiten, selbst8    Wie fast jede neue Sportart, die sich der Natur
 an Meeresküsten, der bunten Vielfalt entbehren, ist70 bedient und immer mehr Fans findet, ist freilich auch
 das Tauchen zum Wintersport in Warmwasserländern das Tauchen ins ökologische Blickfeld geraten.
30 geworden. Weitaus am beliebtesten sind die Marinebiologen befürchten eine weitere Zerstörung
 Malediven mit ihren Hunderten von Inseln im der Korallenriffe, die ohnedies zunehmend gefährdet
 Indischen Ozean. Dort gibt es klares Wasser, traumhafte sind. So sind in der Karibik bereits bis zu 80 Prozent
 Temperaturen und vor allem ein sagenhaftes75 der zahllosen »Seefächer« (winzige, bunt schimmernde
 Unterwasserleben. Das Tauchparadies Nr. 2 liegt am Weichkorallen) von einem erst vor vier Jahren
35 Roten Meer: Hurghada und Sharm el Sheikh, wo ein aufgetauchten, wahrscheinlich vom Festland
 Tauchurlaub von zwei Wochen ab 1500 Mark zu eingeschwemmten Krankheitserreger befallen. Dazu
 buchen ist. kommt der »Streß« durch Schadstoffe, zu viel
5    Zur Münchner Spezialmesse, die von 75 Firmen aus80 Nährstoffe und steigende Temperaturen.
 zehn Ländern beschickt wurde, ist ein weiterer Trend 
40 bei Tauchreisen aufgetaucht: Den preisgünstigen Flug 
 zum ausgewählten Tiefsee-Dorado möchte man Karl Stankiewitz, in: Frankfurter Rundschau,
 möglichst mit einem »Riff vor der Hoteltür« buchen. 4.10.1997