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Frau Gonzalez, wie gut versteht man sich in der globalen Welt?

 

Frau Gonzalez, wie gut
versteht man sich in der globalen Welt?

1    Schon die Sprache ist ein dicker Brocken. Da    
 unterhalten sich vier Manager einer Konzern- 
 tochter in Texas mit vier Managern der Mutterfir- 
 ma im Südwesten Deutschlands in ihren gesam- 
5 melten amerikanischen und deutschen Dialekt- 
 varianten während einer mehrstündigen, auf 
 Tonband aufgenommenen Telefonkonferenz auf 
 englisch, frei nach dem Motto: Englisch „kann 
 schließlich jeder“. Es geht um komplizierte Mate- 
10 riallieferungen der Tochter an die Zentrale. Mo- 
 nate später, nach dem Auftreten etlicher Mißver- 
 ständnisse, wird das Telefonat nicht etwa über- 
 setzt, sondern der Originaltext in mühevoller 
 Kleinstarbeit von Übersetzern transkribiert, um 
15 das Gesagte - auch aus juristischen Gründen - 
 zunächst einmal für alle Beteiligten nachvollzieh- 
 bar zu machen. Und das ist natürlich kein Einzel- 
 beispiel. 
2    Immer öfter versucht man, Englisch generell 
20 als Unternehmenssprache durchzusetzen und 
 auf Übersetzer oder Dolmetscher zu verzichten. urlaub. Der amerikanische Manager in Deutsch-
 Geradezu skurril wird es, wenn Unternehmer land oder Asien wiederum ist über den förm-
 den Übersetzer als bloßen Umsetzer von Wörtern50 lichen, strikt hierarchischen Umgang überrascht,
 verstehen und sich sagen, aha, das kann doch wo sich doch in den USA jeder vom kleinsten
25 auch eine Maschine. Da kommen dann Sätze Mitarbeiter bis zum Konzernchef mit Vornamen
 heraus wie der folgende aus einer beliebigen anredet. In Zukunft wird es für das globale Zu-
 wissenschaftlichen Übersetzung: „Punkt zum sammenleben in Wirtschaft und Kultur immer
 Ponder: Denken Sie täglichen menschlichen55 wichtiger sein, daß Menschen eine Fremdsprache
 Gedanken bauen auf die wissenschaftliche erlernen, daß sie auch mal über den Tellerrand
30 Methode, oder muß sie unterrichtet werden?“ gucken und für einige Zeit in einem ganz ande-
 Übersetzer und Dolmetscher werden wohl nicht ren sprachlichen und religiösen Kulturkreis le-
 so bald arbeitslos werden. Als Hilfsmittel vor ben, arbeiten oder studieren, um Vorurteile abzu-
 allem bei Routineübersetzungen sind computeri-60 bauen. An vielen Schulen und Universitäten gibt
 sierte Übersetzungsprogramme sicher von wach- es diesen Austausch ja bereits.
35 sender, durchaus positiver Bedeutung. Aber von4    Im Gegenzug zur Globalisierung scheint sich
 der menschlichen Fähigkeit, Gesamtzusammen- eine Rückkehr ins Regionale anzubahnen: die
 hänge zu begreifen und entsprechend zu über- Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln. Der
 setzen, sind sie weit entfernt. Wenn dies über-65 Mensch wird künftig beides vereinen müssen: Er
 haupt je möglich sein sollte. wird global denken und handeln, zugleich aber
340    Bei der Kommunikation auf betrieblicher Ebe- in seinem nicht unbedingt national begrenzten
 ne spielen natürlich nicht nur die sprachlichen Kulturbereich zu Hause bleiben. Aufgabe der Zu-
 Verständigungsschwierigkeiten eine Rolle, son- kunft ist, die Menschen auf die neue globale Welt
 dern auch die grundlegenden Unterschiede in70 und gegenseitige Toleranz einzustimmen, ohne
 der Unternehmens- und Landeskultur. Der deut- ihnen das vertraute sprachliche und kulturelle
45 sche, in die USA versetzte Manager begnügt sich Umfeld zu nehmen.
 - früher verblüfft, inzwischen bereits gewohn- 
 heitsmäßig - mit knapp zwei Wochen Jahres- Stuttgarter Zeitung, 10.7.1999