Die Allwissende | ||||||
Als Bilge Buz vor acht Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam, sprach sie kein Wort Deutsch. Jetzt hat die 17-Jährige in Berlin Abitur gemacht – mit der Traumnote 1,2 | ||||||
30 | Schulstoff der höheren Klasse ein, und | |||||
auf Fragen antwortete sie stets souverän, | ||||||
schnell und präzise“, lobt Schulleiter | ||||||
Anselm Salinger, als ob er ein | ||||||
Empfehlungsschreiben diktierte: | ||||||
35 | „Dabei war sie weder verbissen noch | |||||
eine Streberin.“ | ||||||
(4) Für ein Land, dessen Migranten | ||||||
häufig nicht über die zehnte Klasse | ||||||
hinauskommen, ist das eine kleine | ||||||
40 | Sensation. Wie hat die Ausländerin, | |||||
die erst mit acht Jahren Deutsch | ||||||
lernte, das nur geschafft? „Ich habe die | ||||||
Gabe, mir Dinge schneller merken zu | ||||||
können als andere“, sagt Bilge. Ihr | ||||||
45 | Intelligenzquotient, hat ein türkischer | |||||
Kinderarzt geschätzt, liege bei rund | ||||||
170 Punkten. | ||||||
(5) Anders als viele ihrer Landsleute, | ||||||
die als Gastarbeiter nach Deutschland | ||||||
50 | gekommen sind, hat Bilge zudem das | |||||
(1) Einmal wurde sie richtig nervös. | Glück, aus einer gebildeten Familie zu | |||||
Das war während einer Erdkundearbeit | stammen. Ihr Vater Faik Buz, 49, hat | |||||
in der siebten Klasse. Vor ihr auf dem | in Stuttgart studiert und arbeitet heute | |||||
Pult lag ein Zettel mit Fragen nach | als Ingenieur bei einer türkischen Bau | |||||
5 | Flüssen und Städten, die Bilge nicht | 55 | firma. Ihre Mutter Aysen, 40, ist | |||
gelernt hatte. Fast jede andere 12- | gelernte Maschinenbauerin. Wie | |||||
Jährige hätte diese ebenso unangenehme | wichtig den Eltern die Ausbildung | |||||
wie normale Erfahrung spätestens | ihrer Tochter ist, zeigt sich bereits in | |||||
in der nächsten großen Pause wieder | dem Namen, den sie ihr gegeben | |||||
10 | vergessen. Nicht so Bilge Buz: „Das | 60 | haben: Bilge heißt übersetzt „die | |||
willst du nie wieder erleben“, beschloss | Allwissende“. | |||||
sie. | (6) Zu Hause sprach die Familie im | |||||
(2) Ihren Vorsatz machte sie wahr. | ersten Jahr so viel Deutsch wie möglich; | |||||
Obwohl sie erst dreieinhalb Jahre | türkische Sendungen und Bücher | |||||
15 | zuvor gemeinsam mit ihren Eltern | 65 | waren tabu. „Und dann habe ich zu ihr | |||
nach Deutschland gekommen war, | gesagt, du kannst so viel fernsehen, | |||||
musste sie nie wieder eine Prüfungsfrage | wie du willst“, erzählt Vater Buz mit | |||||
auslassen. Zwei Jahre nach der | verschmitztem Blick, „aber nur [id:53793] | |||||
verpatzten Erdkundeklausur über | Filme.“ Dazu besorgte er noch Videos | |||||
20 | sprang Bilge die neunte Klasse der | 70 | wie „Die Schlümpfe“, „Arielle“ und | |||
Eckener-Oberschule im bürgerlichen | „Aschenputtel“. | |||||
West-Berliner Stadtteil Mariendorf; | (7) Im Oktober will die 17-Jährige an | |||||
ein weiteres Jahr später auch noch die | der Berliner Humboldt-Universität ein | |||||
elfte. | Jurastudium aufnehmen – und es | |||||
25 | (3) In diesem Juni, kurz vor ihrem 17. | 75 | natürlich so schnell wie möglich absolvieren. | |||
Geburtstag, meisterte die Überfliegerin | Denn sie will Diplomatin werden | |||||
im ersten Anlauf ihr Abitur – mit einer | und vielleicht ja sogar Uno- | |||||
Traumnote von 1,2. „Sie arbeitete sich | Generalsekretärin. Schließlich brauche | |||||
immer beeindruckend schnell in den | der Mensch[id:53794]. |