Warum sind Vorlieben
so verschieden? |
| | (1) Mode ist für die meisten Männer immer | |
| | noch ein undurchdringliches Phänomen. Dass |
| | alle Frauen wie auf Knopfdruck kniehohe |
| | Stiefel über den Hosenbeinen tragen, mag |
5 | | noch mit Gruppenverhalten erklärbar sein. |
| | Aber wie kommt es, dass plötzlich alle den |
| | Trend auch schön finden? |
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| | (2) Die Erklärung kommt hier, liebe Männer: |
| | Das ist wie mit der Vorliebe für eine bestimmte |
10 | | Biermarke in der Kneipe. Man könnte auch |
| | sagen, es hängt mit dem rätselhaften Effekt |
| | zusammen, dass ein aus dem Urlaub |
| | mitgebrachter Wein daheim oft nicht mehr |
| | schmeckt. Aber bleiben wir besser beim Bier. Denn vermittels eines |
15 | | Gerstensaft-Experimentes am Tresen wiesen drei US-Forscher nach, |
| | dass wir uns ganz bereitwillig sagen lassen, was uns gefällt. Auch |
| | wenn es keiner gerne hört: Erwartungen, die wir vorher an eine |
| | Situation knüpfen, beeinflussen massiv, was wir hinterher erlebt haben |
| | wollen. |
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20 | | (3) Das Trio zog des Abends durch verschiedene Kaschemmen1) in der |
| | Nähe ihrer Forschungsstätte, dem Massachusetts Institute of Techno- |
| | logy in Boston und offerierte manchen Gästen, an einem kostenlosen |
| | Test mit Freibier teilzunehmen. Die meisten willigten dankend ein und |
| | bekamen je ein Glas der Marken „Budweiser“ und „Samuel Adams“ pur |
25 | | oder mit ein paar Tröpfchen Balsamessig versetzt zu bechern. Nun |
| | kann man über den Einfluss von Säure und Süße im Gerstensaft oder |
| | die Qualitäten der eingesetzten Biere streiten. Entscheidend ist, dass |
| | sich die geschmacklichen Bewertungen der insgesamt fast 400 männ- |
| | lichen und weiblichen Tester unterschieden - und zwar je nachdem, ob |
30 | | sie zuvor wussten, was sie tranken oder nicht. |
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| | (4) Im Blindtest bevorzugten 60 Prozent der Probanden das mit Essig |
| | versetzte Gebräu. Gaben die Psychologen die Identität der Schoppen |
| | unmittelbar nach der Geschmacksprobe aber noch vor der Ent- |
| | scheidung der Trinker bekannt, blieb die Zustimmung zum Essig-Bier |
35 | | fast gleich hoch. Sie fiel erst dann auf 30 Prozent, als den Prüfern |
| | schon deutlich vor der Probe bekannt war, welches Getränk sie vor |
| | sich hatten. Daraus folgt: Die Wahrnehmung der Sinne ändert sich mit |
| | der zur Verfügung stehenden Information und den damit verbundenen |
| | Erwartungen. |
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40 | | (5) Wer sich jemals gewundert hat, warum Geschmäcker so |
| | verschieden sind, hat hier eine Deutung: Das liegt nicht am Produkt, |
| | sondern daran, was [id:37549]. Ein Bier schmeckt meist nur dann, wenn |
| | das richtige Etikett darauf klebt. Mode wird vermutlich gerade dadurch |
| | erst schön, dass es Mode ist. Das scheinen gleichsam Gesetzmäßig- |
45 | | keiten des Gehirns zu sein. |