1 | 1 | | Die drei jungen Männer, die im schweizerischen Celerina die Gondelstation |
| 2 | | betreten, sehen aus wie alle anderen, die sich in die Bergwelt liften lassen wollen: Sie |
| 3 | | stecken in dicken Anoraks, tragen Pudelmützen und Skibrillen. Einer des Trios, der |
| 4 | | 23jährige Peter Witek, geht zur Kasse und erkundigt sich bei dem Fahrkartenverkäufer : |
| 5 | | »Sagen Sie, ist es möglich, dass wir statt Skiern Fahrräder mit hoehnehmen1« Der Mann |
| 6 | | hinter dem Schalter schiebt seinen Oberkörper vor, schaut vorsichtig nach rechts, sieht |
| 7 | | die Räder und sagt: »Glauben Sie an den Osterhasen1« Danach murmelt er was von |
| 8 | | »komplett verrückt« und ignoriert die sonderbare Kundschaft. |
2 | 9 | | Der erste Versuch, eine alpine Abfahrtsstrecke mit dem Rad hinunterzusausen, war |
| 10 | | gescheitert. Dabei hatten sich Peter Witek und seine beiden Freunde, Bernhard |
| 11 | | Hartenstein, 23, und Martin Mages, 22, schon Monate zuvor mit Übernachtungen im |
| 12 | | Freien, mit Langläufen und Trainingsfahrten auf ihre ungewöhnliche Expedition ins |
| 13 | | Oberengadin vorbereitet. Sechs Tage sollte die Tour dauern. Das Ganze mit |
| 14 | | Mountain-Bikes. |
3 | 15 | | Nach der Abfuhr durch den Liftkarten-Verkäufer kommt gleich der nächste |
| 16 | | Rückschlag. Kaum haben die Radier ihr Kuppelzelt - ein echter Abenteurer nimmt nun |
| 17 | | mal kein Hotelzimmer - bei einer kleinen Kapelle aufgeschlagen, da erscheint ein |
| 18 | | Polizeibeamter. »Sofort das Zelt da weg, wild campen ist im Oberengadin verboten. Los, |
| 19 | | los, abbauen.« Witek wagt einen Versuch, den Eidgenossen umzustimmen. »Ein |
| 20 | | großartiges Land, diese Schweiz«, hebt der junge Deutsche aus dem Schwabenland an, |
| 21 | | »da vergißt man alle Strapazen auf dem Sattel.« Der Polizist bleibt ungerührt. Wenn er |
| 22 | | weiterschwätze und das Zelt nicht innerhalb einer Stunde abgebaut sei, drohe eine Strafe |
| 23 | | von 200 Fränkli. |
4 | 24 | | Auf verschneiten Straßen radeln die drei nach Sankt Moritz, und dort bekommen |
| 25 | | sie tatsächlich einen Lift in die Bergwelt. Witek hatte sich mit Kameras voll gehängt und |
| 26 | | behauptet, er sei Berufsfotograf und wolle Werbeaufnahmen machen. Das zog. |
5 | 27 | | Unter dem Gipfel des 2486 Meter hohen Corviglia beginnt die Abfahrt. Zwei |
| 28 | | Stunden dauert sie. Ein Skifahrer schwingt sie in 20 bis 30 Minuten hinunter. »Wir haben |
| 29 | | uns eben viel Zeit genommen, weil es irrsinnig Spaß gemacht hat. Da erlebt man |
| 30 | | Geschwindigkeit, Schnee und Landschaft total.« |
6 | 31 | | Anschließend fahren die Deutschen in die Nacht hinein, Richtung Pontresina, |
| 32 | | übernachten auf einem Wintercampingplatz. Das Thermometer fällt auf 16 Grad unter |
| 33 | | Null, und die Leute wundern sich über das seltsame Trio, das gegen 23 Uhr ins Zelt |
| 34 | | kriecht. In beheizten Wohnmobilen deuten Zeigefinger rüber zu den Verrückten mit ihren |
| 35 | | Rädern. |
7 | 36 | | Am Morgen sind Kleider und Schuhe steif gefroren. Aber die Sonne kommt durch, |
| 37 | | und der Bernina-Paß liegt nur 15 Kilometer entfernt. Alles ist tief verschneit, die Räder |
| 38 | | greifen gut. Der Anstieg dauert knapp eine Stunde, und auf der Paßhöhe pfeift der Wind |
| 39 | | so kalt, dass die Ohren schmerzen. Trotz des herrlichen Blicks bleiben die drei keine |
| 40 | | Viertelstunde oben. Im Tal ist es wärmer. Sie kommen an diesem Tag bis zum Flüelapaß. |
8 | 41 | | Doch hier haben die Extrem-Radler schon wieder Pech. Zwar schaffen sieden |
| 42 | | Anstieg bei fast angenehmen Temperaturen und tiefblauem Himmel. Aber als sie oben |
| 43 | | angekommen sind, geht nichts mehr. Der Paß wird wegen Lawinengefahr gesperrt, und |
| 44 | | die drei sitzen sieben Stunden fest. Eine lange Zeit für ein Expeditionsteam, das |
| 45 | | vorankommen will. Den Aufenthalt verbringen sie mit Tiefschneefahrten, mal einen |
| 46 | | kleinen Buckel hoch, dann wieder runter. Am Abend erreichen sie müde Davos. |
9 | 47 | | Früh am Morgen geht es weiter. Richtung Skizirkus. Aber der Mann von der |
| 48 | | Gondelstation versteht keinen Spaß. Eine einfache Fahrt sei nicht drin. Sie müßten |
| 49 | | doppelt bezahlen, »hoch und runter«, Als die Deutschen diskutieren wollen, ist für den |
| 50 | | Schweizer der Fall erledigt: »Hiermit untersage ich Ihnen, mit dem Rad abzufahren.« |
| 51 | | Mehr noch: Er warnt telefonisch sämtliche Kollegen in den Talstationen vor den |
| 52 | | Schnee-Radlern. |
10 | 53 | | Da geben die verhinderten Abenteurer auf und brechen ihre Reise ab. »Das nächste |
| 54 | | Mal fahren wir nach Frankreich. Dort haben die Leute für Sportler wie uns sicher mehr |
| 55 | | Verständnis.« |