1 | 1 | | Was andere Autofahrerinnen auf die Palme bringt, amüsiert Sabine Brands, 42: |
| 2 | | »Wenn mal ein Mann herumschimpft und sagt, 'O Gott, 'ne Frau am Steuer', dann denke |
| 3 | | ich halt, 'na, Junge, wenn du wüßtest...'« |
2 | 4 | | Tja, so mancher Herr der Schöpfung käme aus dem Staunen nicht heraus, wüßte er, |
| 5 | | dass ausgerechnet Frauen die Autos in der Fabrik als erste in die Hand bekommen... |
3 | 6 | | Wenn, beispielsweise bei Volkswagen in Wolfsburg, die nagelneuen Wagen vom |
| 7 | | Band zur Endkontrolle gebracht werden müssen, steigen meist Frauen als erste auf den |
| 8 | | Fahrersitz und manövrieren sie millimetergenau durch die Hallenstraßen. »Das ist recht |
| 9 | | schwierig, weil der Verkehr nahtlos ineinander übergehen muß. Wir müssen rasch |
| 10 | | machen, um den Ablauf des Bandes nicht zu stören - und andererseits sehr vorsichtig |
| 11 | | sein, um das neue Auto zu schonen.« Soweit Sabine Brands, deren Hobby das |
| 12 | | Autofahren ist und die Tag für Tag rund fünfzig verschiedene Volkswagen vom Typ Golf |
| 13 | | bis Jetta spazierenfahren darf. |
4 | 14 | | »Wahrscheinlich nimmt man für diesen Job lieber Frauen, weil wir sensibler mit |
| 15 | | den neuen Motoren umgehen als die Männer«, schätzt Marina Hasemann, 21, die seit |
| 16 | | 1982 bei Volkswagen Autos vom Band zur Endkontrolle fährt. »Und da kommt's dann |
| 17 | | immer wieder vor, dass wir noch 'ne Macke am Auto bemerken, die bis dahin keinem |
| 18 | | aufgefallen ist.« |
5 | 19 | | Ehe der Computer schließlich den letzten Test abnimmt, wissen die Frauen am |
| 20 | | Steuer schon, wenn eine Schraube locker ist. |
6 | 21 | | Das Volkswagenwerk gehört zu den ersten Automobilfabriken, die in punkto |
| 22 | | Fahrkunst Frauen mit Männern gleichstellen. Mehr noch: »Manche Mädchen«, sagen die |
| 23 | | Montagemeister in Wolfsburg, »fahren talentierter als die Männer.« 27 Mark gibt es die |
| 24 | | Stunde für das Fahren, die Schichten sind aufgeteilt: mal von halb sechs früh bis zwei |
| 25 | | Uhr nachmittags, mal von zwei bis um halb elf in der Nacht. |
7 | 26 | | Obwohl sie pro Monat für ihren Job Hunderte von Kilometern unterwegs ist, |
| 27 | | gehört auch die Freizeit von Sabine Brands größtenteils dem Auto: »Wer weiß, wenn ich |
| 28 | | nur ein wenig mehr Mut gehabt hätte, vielleicht wäre aus mir schon vor zehn Jahren eine |
| 29 | | Michèle Mouton geworden.« Die Französin ist die beste Rallyefahrerin der Welt und |
| 30 | | Sabine Brands' Vorbild. Fünfmal war Frau Brands schon mit dem Auto in der Türkei im |
| 31 | | Urlaub. |
8 | 32 | | Motor, Getriebe und Zündanlage sind auch für Cornelia Otte, 22, eine gelernte |
| 33 | | Friseurin, wie für Millionen anderer Frauen in Deutschland keine böhmischen Dörfer |
| 34 | | mehr. Seit zwei Jahren arbeitet sie bei Volkswagen: »Zündkerzen austauschen, Räder |
| 35 | | wechseln oder die Verteilerkappe runternehmen, dabei braucht mir kein Mann zu |
| 36 | | helfen.« |
9 | 37 | | Petra Wecke ist mit ihrem Golf sogar schon auf die hauseigene Teststrecke |
| 38 | | gegangen und hat kräftig Gas gegeben: »Rennfahrerin, das wär auch ein Job für mich!« |
| 39 | | schwärmt sie. Aber privat läßt sie es eh er gemächlich angehen: »Seit ich vom |
| 40 | | Waldsterben weiß, fahre ich nur noch Tempo 100.« |
10 | 41 | | Bei all ihrer Fahrerfahrung ärgert es Cornelia Otte manchmal, wenn es ihr auf der |
| 42 | | Straße nicht anders ergeht als anderen Frauen: »Wenn ein Problem auftaucht, und |
| 43 | | plötzlich ist ein Stau, sagen die Männer sofort: 'Ja, ja - schon wieder 'ne Frau am |
| 44 | | Steuer!'« |
11 | 45 | | Sabine Brands: »In so einer Situation würde ich den Männern liebend gern |
| 46 | | erzählen, was für einen Beruf ich habe. Aber was soll's...« |
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| | | Journal für die Frau, März 1986 |