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Krieg auf der Nordsee

Krieg auf der Nordsee

11     Mit voller Kraft voraus kämpft sich der niederländische Fischkutter »Marrie
2 Jacob« bei Windstärke sechs durch die aufgewühlte Nordsee. Kapitän Pieter Spil, 37, hat
3 es eilig. Er ist mit zwei Deutschen als Geiseln auf der Flucht und wird von sieben Polizei-,
4 Zoll- und Fischereischutzbooten gejagt.
25     Um die Verfolger abzuschütteln, ruft der Kapitän drei Schwesterschiffe seiner
6 Reederei zu Hilfe, die ihn vor den Häschern schützen und abschirmen sollen. Trotzdem
7 kommen die Deutschen immer näher, fordern den Holländer zur Kapitulation auf.
8 Vergeblich. Das wie Kranarme ausgelegte Fanggeschirr des Kutters reißt das
9 Hubschrauberdeck des deutschen Fischereischutzbootes »Seefalke« auf.
310     55 Seemeilen westlich von Helgoland fallen wenig später die ersten Schüsse in
11 diesem seit 1977 tobenden »Seezungen-Krieg«. Um die »Marrie-Jacob« zu stoppen, setzt
12 ihr das Zollboot »Kniepsand« 40 Leuchtspurgeschosse aus einem modernen
13 G-8-Schnellfeuergewehr vor den Bug. Gleichzeitig prescht das Polizeiboot »Helgoland«
14 auf de n Raubfischer zu. Polizeiobermeister Horst Göttsche, 40, steht bereit, um trotz der
15 bewegten See und bei einer Geschwindigkeit von zwölf Seemeilen (rund 22
16 Stundenkilometer) auf das Heck der »Marrie-Jacob« zu springen. Als der Kutter nahe
17 genug ist, hechtet Göttsche hinüber, zieht Pistole und chemische Keule und stürmt das
18 Ruderhaus. Der Rest ist Routine.
419     Die Jagd auf den fliehenden Holländer ist damit nach sieben Stunden zu Ende.
20 Begonnen hatte es damit, dass das Fischereischutzboot »Seefalke« den Fischwilderer aus
21 den Niederlanden auf frischer Tat ertappt hatte. Kapitän Spil hatte innerhalb der für ihn
22 gesperrten Zwölfmeilenzone seine Netze ausgeworfen und Seezungen gefangen. Als er
23 gestellt wurde, ließ er zunächst den 2. Offizier der »Seefalke«, Josef Banna, 51, und den
24 Matrosen Gerd Heinz Bonzeg, 25, an Bord, brauste dann mit voller Maschinenkraft
25 davon.
526     Die Hatz auf holländische Fischwilderer wiederholt sich seit 1977 Jahr für Jahr und
27 wird immer dramatischer. Der Grund dafür ist die Seezunge, kostbarster und wegen
28 Überfischung und Wasserverschmutzung äußerst rar gewordener Plattfisch. Um die teure
29 Delikatesse zu schützen, wurden vor fünf Jahren mit einem internationalen
30 Fischereiabkommen und einer EG1)-Verordnung die Fangrechte eingeschränkt. Nach
31 diesem sogenannten »Plattfisch-Pakt« dürfen nur Kutter mit maximal 70
32 Bruttoregistertonnen oder 300-PS-Motoren in einer zwölf Seemeilen breiten Schutzzone
33 entlang der Nordsee ihre Netze - deren Größe ebenfalls vorgeschrieben ist - auswerfen.
634     Die »Marrie Jacob« aber hat eine 1235-PS-Maschine und ein sogenanntes
35 Baumgeschirr. Dieses Fanggerät ist mit Stahlkufen und tonnenschweren Eisenketten
36 beschwert, die den Meeresboden regelrecht umpflügen. So werden die Seezungen
37 aufgeschreckt und schwimmen geradewegs ins Netz. So werden vor allem aber auch ihre
38 Laichplätze zerstört.
739     Das Fangverbot hat die niederländischen Fischer bislang nicht gestört. Und der
40 Konflikt in der Nordsee spitzt sich immer mehr zu. Wütend drohte Kapitän Pieter Spil:
41 »Vor der deutschen Küste wird bald zurückgeschossen.«
 
     Quick, 15.7.1982

noot 1: EG = Europäische Gemeinschaft