Wie kriegt man diesen
Ob am Münchner Marienplatz oder am Times Square von New York: Der Typ, der als LEBENDE STATUE alle Welt in Neugier versetzt, rührt sich nicht, wenn man ihn anspricht. Wir lockten den anonymen Künstler, der seinen Namen nicht preisgibt, von seinem Podest und sprachen mit ihm. |
Sein Körper wirkt wie eine Skulptur aus Stein. | gelten Achtstundentag im Büro verbringen - dieser Job | |||||||
Nur manchmal zwinkert er hübschen Frauen zu oder | ist mein Leben. | |||||||
streicht im Zeitlupentempo Touristen frech übers Haupt. | 40 | Schön, wenn dann auch der Rubel rollt... | ||||||
Und jeder Versuch, mit ihm in Kontakt zu treten, scheitert. | ... reich werde ich bestimmt nie. Maximal das Essen | |||||||
5 | Denn sprechen will der 33jährige Schweizer nicht. Erst | und Reisen für die nächsten paar Tage läßt sich damit | ||||||
eine ihm zugesteckte Botschaft („Wann machen Sie mal | bestreiten. An schlechten Tagen liegen gerade mal 30 | |||||||
Pause?") läßt ihn doch noch vom hohen Sockel | Mark drin, wenn's super läuft schon mal über 100 Mark. | |||||||
steigen ... | 45 | Die Leute geben mir schließlich Geld, damit ich mich | ||||||
Sie reagieren weder auf Ansprache noch auf Zurufe... | bewege - und das in den verschiedensten Währungen. | |||||||
10 | ... als Statue wäre das auch nicht gerade stilecht. Ich | Ich hab' inzwischen für jede eine Socke im Gepäck. | ||||||
will anonym bleiben, damit keiner auf die Idee kommt, mich | Geld, das Sie vor Ort eintauschen? | |||||||
mit Namen anzusprechen. | Klar, ich bin ja alle zwei Wochen in einer neuen Stadt, | |||||||
Haben Sie jetzt kurz Zeit für ein Interview? | 50 | einem anderen Land: Die Sprache der Pantomime ver- | ||||||
Eigentlich leiste ich mir ja keine Unterbrechung bei der | steht man eben weltweit. | |||||||
15 | Arbeit ... | Kann man Sie über einen Agenten buchen? | ||||||
... nicht mal auf einen Kaffee? | Nein, wer mich für Feste engagieren will, muß mich von | |||||||
Wenn's gut läuft, bleibe ich bis zu acht Stunden auf dem | der Straße holen und Reisekosten plus Übernachtung | |||||||
Podest. Und was zu mir nehmen, kann ich dann rein | 55 | übernehmen. Jetzt bin ich zum Beispiel von einem Fir- | ||||||
menchef nach Australien eingeladen. Ich will keinen fe- | ||||||||
aus natürlichen Gründen nicht ... | sten Terminplan, rede direkt mit den Menschen, denn | |||||||
20 | Und hat Sie noch nie ein Krampf außer Gefecht ge- | darin liegt ja gerade der Reiz ... | ||||||
setzt? | Bleiben da Freundschaften nicht auf der Strecke? | |||||||
Für mich ist das kein Nebenjob. Ich bin schon seit gut | 60 | Wir Straßenkünstler sind eine große Familie. Ich kenne | ||||||
15 Jahren als Künstler unterwegs. Nicht immer als | in jeder Stadt Leute, übernachte meist bei Freunden. | |||||||
„Skulptur", auch mit Pantomime auf Kleinkunstbühnen. | Aber eine feste Beziehung oder gar eine Familie grün- | |||||||
25 | Ohne tägliches Training würde das nicht funktionieren. | den, ist fast unmöglich. | ||||||
Ich lockere abends meine Muskeln mit Stretching, und | Es wäre also eine Lebensaufgabe für eine Frau, Sie | |||||||
bevor ich morgens zur Statue werde, habe ich schon | 65 | vom Sockel zu holen ... | ||||||
eine Stunde Yoga hinter mir. | (lacht)... naja, den ersten Auftritt hatte ich mit fünf: Ich | |||||||
Was fasziniert Sie so am Straßenauftritt? | komm' aus einer Künstlerfamilie, schon mein Großvater | |||||||
30 | Ich liebe es, die Leute zum Lachen zu bringen, brauche | war Clown. | ||||||
den direkten Kontakt zu den Menschen. Die Straße | Wo ist Ihre liebste Bühne? | |||||||
ist die schwierigste Bühne: Man muß gestreßte | 70 | Es kommt immer auf die Zuschauer an. In Spanien sind | ||||||
Ge- schäftsleute, Passanten und Touristen erst mal zum | die Leute besonders herzlich. Auch wenn sie kein Geld | |||||||
Stehenbleiben bewegen, sie spontan fesseln. Schließlich | dabeihaben, bedanken sie sich, und wenn's nur ein | |||||||
35 | zahlen sie hier keinen Eintritt wie im Theater und sitzen | Händedruck ist. Hier bringt mir eine Frau täglich Brot | ||||||
nicht mit einer bestimmten Erwartungshaltung im Zuschauerraum. | vorbei. Am ersten Tag sprach sie mich fast entschuldi- | |||||||
Aber ich könnte nie einen gere- | 75 | gend an, sie hätte kein Geld, ob ich mich auch darüber | ||||||
| freuen würde. | |||||||
Also Naturalien statt Geld ... | ||||||||
... genau, einmal stand ein Kind fasziniert vor mir, wollte | ||||||||
dauernd neue Münzen in den Teller werfen, bis sein | ||||||||
80 | Vater mit leeren Taschen dastand. Der entnervte Papa | |||||||
spendete schließlich seine Socken ... | ||||||||
Sibylle Royal | ||||||||
aus: freundin |