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Radier, Rüpel, Rowdys

Radler, Rüpel, Rowdys

Der tägliche Krieg auf unseren Straßen: Radfahrer gegen Autofahrer. Die Polizei ist machtlos, Radler fordern autofreie Städte.

11    Jagdszenen in Frankfurt-Sachsenhausen. Ein Autofahrer schneidet beim Abbiegen
2 einen Radier, der muß scharf bremsen und wehrt sich mit lauten Schimpfkanonaden. Der
3 26jährige Übeltäter rotzt durchs offene Wagenfenster zurück - so fahren sie eine Weile
4 schreiend nebeneinanderher. Am Ortsausgang lauert der Automensch seinem Gegner auf
5 und boxt ihn aus dem Sattel.
26    Rambo in Leverkusen, mit umgekehrten Fronten. Ein Radfahrer, 23 Jahre alt, gerät
7 über ein auf dem Radweg geparktes Auto dermaßen in Rage, daß er zum Hockeyschläger
8 greift und alle Autoscheiben kaputtschlägt. Dann drischt er auch noch auf den
9 herbeieilenden Fahrer ein, der seinen Wagen nur kurz zum Beladen abgestellt hatte.
310    Solche Vorfälle melden die Lokalseiten der Zeitungen täglich. Von Rad-Rambos ist
11 die Rede, Rad-Rowdys und den Rad-Rüpeln der Nation. Die »Kölnische Rundschau« ließ
12 von einem Institut die Meinung der Domstädter untersuchen. 60 Prozent halten die
13 Radier uneingeschränkt oder zumindest teilweise für rücksichtslose Verkehrsteilnehmer
14 und würden deshalb ein hartes Durchgreifen der Polizei begrüßen.
415    Die Gefahren, die da auf uns zuradeln, sind nicht zu unterschätzen. Denn die
16 Deutschen werden immer mehr ein Volk von Radfahrern. 45 Millionen Stahlrösser werden
17 in der alten Bundesrepublik vermutet und zehn Millionen in der Ex-DDR. Der Trend zum
18 umweltfreundlichen, gesunden und billigen Radeln ist gewaltig.
519    Viele Anfänger haben von den einfachsten Regeln keine Ahnung. Die Unfallzahlen
20 sind erschreckend: 898 tote und 68 028 verletzte Radier im vorigen Jahr, unter ihnen
21 besonders viele Schulkinder, Frauen und ältere Leute. Weit über die Hälfte der
22 Karambolagen zwischen Autos und Radlern werden von den Motorisierten verschuldet.
23 Die Statistik meldet auch 8000 »Alleinunfälle«, meist infolge technischer Defekte, zum
24 Beispiel Lenkerbruch.
625    Der Münchner Polizeisprecher Hans-Peter Kammerer sieht eine alarmierende
26 Entwicklung. Bei »Schwerpunkteinsätzen« hatten die Beamten festgestellt, daß die in
27 immer größeren Schwärmen auftretenden Radier sich viel rücksichtsloser verhalten als
28 bisher angenommen.
729    So gehe es nicht weiter, meint der Präsident der Düsseldorfer Verkehrswacht. Kurt
30 Dreist: »Wo kommen wir denn hin, wenn die Radfahrer bestimmen, was Recht und Gesetz
31 ist!«
832    »Sie schustern sich ihre Straßenverkehrsordnung selbst zurecht«, klagt auch der
33 Augsburger Polizeipräsident. Seine Beamten müssen hilflos mitansehen, wie sie bei Rot
34 über die Kreuzung flitzen, nachts ohne Licht fahren, auf Gehwegen und Fußgängerzonen
35 Kinder und Omas umnieten und ohne Handzeichen abbiegen.
936    Dabei sind alle Radfahrer ja nicht nur Radfahrer, sondern auch Fußgänger und viele
37 auch Autofahrer. Manche Leute, entdeckte die Berliner Verkehrsforscherin Ursula Pauen-
38 Höppner, schlüpfen in eine andere Rolle, sobald sie vom Gaspedal aufs Radpedal
39 umsteigen, und schaffen sich ihre eigene Verkehrswelt.
1040    Bezeichnend für dieses gespaltene Bewußtsein ist das Bekenntnis eines Probanden
41 in der Untersuchung der Diplom-Soziologin: »Als Autofahrer möchte ich einem
42 Radfahrer, wie ich einer bin, lieber nicht begegnen.« Der frühere Rallyeweltmeister
43 Walter Röhrl, auch ein leidenschaftlicher Radler, gibt die Hoffnung indes nicht auf: »Wenn
44 immer mehr Leute radfahren, gibt es auch immer mehr, die sich sagen: Ich bin als
45 Autofahrer oft ganz schön blöd gewesen.«
STERN 38, September 1991