1 | 1 | | Berlin-Marzahn, 7.50 Uhr morgens: Wenn Andreas und Anja zur Schule gehen, |
| 2 | | sehen sie kaum einen Baum, selten Grünflächenader Sträucher am Wegrand. [id:76057] |
| 3 | | ist ihre Umgebung. Sozialistische Einheitsarchitektur, oft hochgezogen bis über 20 |
| 4 | | Stockwerke. Die 4. Gesamtschule, in der beide ihre mittlere Reife machen wollen, hat zwar |
| 5 | | nur vier Stockwerke, wirkt ab er nicht weniger trist. |
2 | 6 | | Der Unterricht wurde hier mittlerweile dem Westlehrplan angeglichen, aber, so |
| 7 | | Andreas: »Viele unserer Lehrer blicken weder mit den neuen Lehrmethoden noch mit der |
| 8 | | geänderten Notengebung (früher gab es nur fünf Noten, jetzt ein Noten/Punktesystem) |
| 9 | | durch. Und wenn schon die Lehrer [id:76058], wer kann es uns dann verübeln, wenn wir |
| 10 | | nichts mehr verstehen?« |
3 | 11 | | 20 Kilometer westlich, Stadtteil Berlin-Charlottenburg: Auch Pavel und Sandra |
| 12 | | gehen um 7.50 Uhr zur Realschule. Das große backsteinrote Gebäude, umgeben von einer |
| 13 | | Birkenallee, leuchtet zwischen hübschen Altbauten heraus. Die Klassenzimmer: hoch, hell |
| 14 | | und freundlich - hier hat [id:76059] nichts verändert. Pavel: »Wer nicht lernt, fällt eben |
| 15 | | durch, bekommt keine Lehrstelle. Das war schon immer so und wird immer so sein.« |
4 | 16 | | Was für Pavel [id:76060] scheint, ist für Andreas und Anja neu. Der Staat |
| 17 | | garantierte vor der Wiedervereinigung jede Lehrstelle. [id:76061] gab es offiziell keine. |
| 18 | | Das Ergebnis: »Wir haben alle Zukunftsangst, weil es schwer ist, auf dem freien Markt |
| 19 | | Arbeit zu finden.« |
5 | 20 | | Inzwischen ist es Mittag. [id:76062] Andreas und Anja zur »Schulspeisung« in die |
| 21 | | weiß getünchte Kantine verschwinden, gehen Pavel und Sandra nach Hause, essen, was |
| 22 | | Pavels Mutter liebevoll zubereitet hat. Danach werden in Pavels Zimmer Hausaufgaben |
| 23 | | gemacht. |
6 | 24 | | Wenn Andreas und Anja [id:76063] gegen 16.30 Uhr in sein Zimmer im 17. |
| 25 | | Stockwerk eines anonymen Ost-Plattenhochhauses gehen, kümmern auch sie sich |
| 26 | | zunächst mal um ihren Lehrstoff. Andreas sitzt dabei auf dem Bett, über das er drei |
| 27 | | BRAVO-Poster gehängt hat, während Anja es sich auf dem Boden bequem gemacht hat. |
7 | 28 | | Wenn Andreas und Anja Freitagabend ihre Schulaufgaben beendet haben, gehen sie |
| 29 | | in ihren Stammjugendclub »Renner«, der einige Monate wegen einer Messerstecherei |
| 30 | | geschlossen war. |
8 | 31 | | Da das Freizeitangebot [id:76064] ist, gehen Andreas und Anja einfach »einen |
| 32 | | heben«, Ihnen fehlt jeder Antrieb, selbst etwas auf die Beine zu stellen. Deshalb finden sie |
| 33 | | auch nur selten den Weg in Pavels und Sandras Welt. Früher schrieb der Staat [id:76065] ja |
| 34 | | sogar weitgehend vor. Alte Gewohnheiten lassen sich eben nicht so schnell abbauen wie |
| 35 | | die Steine, die früher einmal die Mauer waren. |
9 | 36 | | Pavel und Sandra haben diese Probleme nicht. Charlottenburg hat eigentlich alles, |
| 37 | | was man sich so wünschen kann. Vom Kino, über Discos bis hin zu Restaurants. Außerdem |
| 38 | | haben die beiden [id:76066] gelernt, mit ihrer Freizeit umzugehen. |
10 | 39 | | Die Ziele der vier jungen Leute [id:76067], auch was den Beruf angeht. Während im |
| 40 | | Osten Idealismus noch groß geschrieben wird, steht im Westen Selbstverwirklichung und |
| 41 | | Geld verdienen im Vordergrund. Anja beispielsweise will einen Beruf ergreifen, in dem sie |
| 42 | | Tieren helfen kann, Andreas möchte in der Bundeswehr seinem Land dienen. Pavel |
| 43 | | dagegen strebt [id:76068] eine Lehre als Bankkaufmann an, während seine Freundin »zur |
| 44 | | Selbstverwirklichung« irgend etwas mit Design machen will. |