1 | 1 | | »Was wollen Sie? Das Musical darstellen lernen? Nee, nee, wirklich nicht. Da haben |
| 2 | | wir nichts,« Umsonst war die Warterei. Auch das Arbeitsamt kann nicht weiterhelfen. |
| 3 | | »Eine spezielle Musical-Ausbildung«, klärt die rundliche Dame im dritten Stock auf, »die |
| 4 | | gibt es in Deutschland nicht.« Musicals scheinen bei uns ohne einheimischen Nachwuchs |
| 5 | | über die Bühne zu gehen. |
2 | 6 | | Wie aber schafft man den großen Sprung, wie wird man beispielsweise zum |
| 7 | | umjubelten Straßentiger im Hamburger Jahrhundertspektakel »Cats«? |
3 | 8 | | Einer, dem der Gang durch die Auswahlverfahren glückte, ist Ethan Freeman. Einer |
| 9 | | von 36, die allabendlich auf der gigantischen Bühnenmüllkippe zwischen durchlöcherten |
| 10 | | Fußbällen und abgefahrenen Autoreifen, Fischkadavern und zerbeulten Fahrrädern |
| 11 | | umhertoben dürfen, |
4 | 12 | | Freeman (27) ist Amerikaner, einer von 30 Ausländern im Ensemble. Denn ganze |
| 13 | | sechs Deutsche haben sich in die »Cats«-Elite »emporgeschnurrt«, |
5 | 14 | | Was laut Sabine Grohmann, der künstlerischen Leiterin im Operettenhaus an der |
| 15 | | Reeperbahn, einen ganz simplen Grund hat: »Gut geschulte Talente gibt es in der |
| 16 | | Bundesrepublik nicht. Wir müssen auf Ausländer zurückgreifen.« |
6 | 17 | | Eine Tatsache, die zu Anfang der Hamburger »Cats«-Zeiten von der Kritik kräftig |
| 18 | | ausgeschlachtet wurde: »Reinfall« und »Pleite« stand in den Schlagzeilen; von »mäßiger |
| 19 | | Ausstrahlung« und »wenig Gold in der Kehle« schrieb zum Beispiel das »Handelsblatt«. |
| 20 | | Denn wenn »ganz hübsch tanzende« Amerikaner und Schweden mit deutschsprachigem |
| 21 | | Gesang loslegten, dann verstehe man kein Wort mehr. |
7 | 22 | | Diese Stimmen sind schnell verstummt. Andrew Lloyd Webbers »Cats«, daran |
| 23 | | besteht kein Zweifel mehr, stellt alles Dagewesene in Sachen Musical in den Schatten. Seit |
| 24 | | einem Jahr wirbeln die Katzen achtmal die Woche durch den eine Million Mark teuren |
| 25 | | Schrott auf der Bühne; und kein Ende in Sicht. |
8 | 26 | | Am 18. April feiern die »Cats« nun Geburtstag, das Jahr eins nach der Premiere ist |
| 27 | | um. Der einzigartige Boom indes geht weiter: Hotels bieten teuerste »Cats«-Menüs an. |
| 28 | | Die bisher durch das Webber-Werk zusätzlich nach Hamburg gelotste Kaufkraft wird mit |
| 29 | | 50 Millionen Mark beziffert. |
9 | 30 | | Die »Cats« - ein seltenes Glückslos für Produzent Fritz Kurz (37). Er brachte in |
| 31 | | ganzen acht Monaten die knapp zehn Millionen Mark teure Show in die schwarzen |
| 32 | | Zahlen. Seit Anfang des Jahres wird eifrig abkassiert. |
10 | 33 | | Das ist ein Beispiel, dem andere Städte gern folgen möchten: In den kommenden |
| 34 | | Jahren wird Fritz Kurz die ganze Republik mit Werken des Erfolgskomponisten Andrew |
| 35 | | Lloyd Webber überziehen. Im Mai hat in Bochum der »Starlight Express« Premiere, |
| 36 | | baldmöglichst anschließen sollen sich »Chess« in Frankfurt und »The Phantom of the |
| 37 | | Opera« in München. Kein Zweifel: Musicals sind im Kommen. |
11 | 38 | | Eher auf Stillstand scheinen dagegen die bundesdeutschen Darsteller fixiert zu sein. |
| 39 | | 16 Stellen wurden jetzt in Hamburg neubesetzt, und dafür hörten und sahen sich die |
| 40 | | »Cats«-Macher David Taylor (Regie), Lynda Curry (Choreographie) und Fritz Kurz in |
| 41 | | ganz Europa rund 1000 Möchtegern-Kätzchen an. Mit dem Resu1tat, daß, siehe oben, |
| 42 | | unter 36 Miezen der ersten und zweiten Besetzung lediglich sechs aus dem eigenen Land |
| 43 | | sind. |
12 | 44 | | Zwar erklärte die Ex-Katze und Sängerin Karin Ploog kürzlich in der |
| 45 | | »Süddeutschen Zeitung«, man hätte auch gute deutsche Sänger finden können, die |
| 46 | | »Memory« und andere »Cats«-Hits glänzend vor sich hin miauen, die Verantwortlichen |
| 47 | | hätten nur »lieber billigere ausländische Kollegen genommen«. |
13 | 48 | | Doch die künstlerische Leiterin Sabine Grohmann steht mit ihrer Meinung, guter |
| 49 | | Nachwuchs sei hierzulande einfach nicht vorhanden, bei weitem nicht allein. |
14 | 50 | | »Es stimmt, die Ausbildung bei uns ist schlecht. Wir stehen da ganz am Anfang, |
| 51 | | hängen sicher um zehn Jahre hinter Amerikanern und Engländern her«, sagt |
| 52 | | beispielsweise Volker Ullmann, Leiter der Hamburger »Stage School of Dance and |
| 53 | | Drama«. |