1 | 1 | | Das Studio ist ein Wohnzimmer. Es verbirgt sich hinter der unscheinbaren Tür des |
| 2 | | Hauses im Günzweg in Hamburg-Sasel, inmitten einer ganzen Reihe unscheinbarer Türen |
| 3 | | an unscheinbaren, schwarzweiß geklinkerten Reihenhäuschen mit ordentlich gezupften |
| 4 | | Vorgärten und Mittelklassewagen an der Hecke. »Studio Günzweg - Produktion für |
| 5 | | Rundfunk und Fernsehen« steht auf einem Pappschild an Tür Nummer 16. |
2 | 6 | | Eine adrette, aufgeräumte Wohnung, aber »man kann sich vorstellen, wie das hier |
| 7 | | aussah, als die Dreharbeiten im Gange waren«, sagt der Studioleiter und Regisseur bei |
| 8 | | einem Rundgang durch seine Produktionsstätte. Bastian Schlüter ist 15 Jahre alt. Vor |
| 9 | | kurzem hat er die Dreharbeiten zu seinem ersten Film beendet, »jetzt müssen wir nur |
| 10 | | noch schnippeln«. Die Produktion heißt »Vater braucht eine Frau«, das Drehbuch schrieb |
| 11 | | »Derrick«-Meister Herbert Reinecker zusammen mit Christian Bock im Jahre 1952. Es |
| 12 | | wurde bereits zu einer Zeit verfilmt, als das Wirtschaftswunder anlief, und der kalte Krieg |
| 13 | | den Wunsch nach Geborgenheit weckte. Dieter Borsche und Ruth Leuwerik in den |
| 14 | | Hauptrollen. |
3 | 15 | | Was um alles in der Welt bringt einen Teenager Ende der achtziger Jahre dazu, mit |
| 16 | | einer Handvoll Laiendarsteller diesen Mottenstoff neu zu verfilmen? Bastian Schlüter: |
| 17 | | »Wir haben das Stück in der Schule aufgeführt, und ich fand es unheimlich witzig. Ich |
| 18 | | wollte schon immer gern einen Film drehen. Dann habe ich vom Offenen Kanal gehört |
| 19 | | und dachte mir, Mensch, das wär' doch was...« |
4 | 20 | | Seit September vergangenen Jahres sind in Hamburg an die fünfzig |
| 21 | | Fernsehsendungen über den Kabelkanal 2 der Deutschen Bundespost gelaufen. Jeden |
| 22 | | Freitag ab 17 Uhr heißt es für zwei Stunden »Film ab!« für den »Offenen Kanal |
| 23 | | Hamburg«. |
5 | 24 | | »Hier kann jeder machen, was er will«, heißt es auf einem Werbeplakat, das den OK |
| 25 | | als konsequente Verwirklichung des Rechts auf freie Meinungsäußerung feiert. Aber das |
| 26 | | freilich nur im Rahmen des Hamburgischen Mediengesetzes, also nichts Sittenwidriges |
| 27 | | oder Staatsfeindliches bitte, und auch nur auf eigene Verantwortung - vor und nach jeder |
| 28 | | Sendung muß der Produzent Namen und Adresse angeben. Ansonsten hat jeder bei der |
| 29 | | Gestaltung seines Beitrags freie Hand. Kein Offizieller begutachtet die Produktionen, ehe |
| 30 | | sie gesendet werden. Von Wolfgang Ebersberger und dem OK-Team - sechs |
| 31 | | Medienassistenten, zwei Verwaltungsangestellte - bekommt der Produzent in eigener |
| 32 | | Sache kostenlos fachliche Unterstützung und die technische Ausrüstung. |
6 | 33 | | Der Offene Kanal Hamburg hat seinen Sitz in einer alten Fabriketage in Altona. |
| 34 | | Dort, in der Stresemannstraße 375, gibt es zwei Ton- und einen Bildschneideplatz, einen |
| 35 | | Fernsehregieraum, ein Hörfunk- und ein Fernsehstudio. Außerdem mehrere |
| 36 | | Gruppenräume: »Denn was wir hier machen, ist nicht professionelles Radio oder |
| 37 | | Fernsehen, sondem eine Möglichkeit zur Kommunikation«, sagt Ebersberger. |
7 | 38 | | Nun gehören zur Kommunikation mindestens zwei. Wie steht es mit dem Zuschauerbeziehungsweise |
| 39 | | Hörerecho auf die handgemachten Produktionen? Wer interessiert sich |
| 40 | | wirklich für den Opa, der eine Stunde lang auf plattdütsch Witze erzählt? Oder für die |
| 41 | | Bürgerinitiative, die gegen die Schließung ihrer Stadtteilbücherei protestiert? Oder für |
| 42 | | Bastians Reinecker-Remake? Falsche Frage, denn: Da könne man ja auch bei den |
| 43 | | öffentlich-rechtlichen und den privaten Fernseh- und Rundfunkanstalten fragen, wer sich |
| 44 | | das alles anschauen soll. »Der Offene Kanal definiert sich nicht darüber, wie viele Leute |
| 45 | | zugucken, sondern darüber, wie viele mitmachen.« |