1 | 1 | | Gespensterstunde heißt diese Zeit um Mitternacht gemeinhin. Gespenstisch geht es |
| 2 | | in der Tat hier auf dem Flughafen Rhein-Main zu. Geparkte Jets, bunte Platzbeleuchtung. |
2 | 3 | | Dann plötzlich ein leichtes Rauschen, als würde ein Staubsauger eingeschaltet. |
| 4 | | Hans-Joachim Lücke (49) läßt die Turbinen seines Airbus an. Der Riesenjet mit der |
| 5 | | Lufthansa-Nummer LH 6769 rollt die Taxiway, die »Nebenstraße« zur Startbahn, entlang, |
| 6 | | etwas schneller als sonst. Die »Neustadt an der Weinstraße« ist um diese Zeit allein- |
| 7 | | Nachtflugverbot auf Frankfurts Flughafen zwischen 22 und 5 Uhr morgens. |
3 | 8 | | Lufthansa-Kapitän Lücke »verletzt« diese Regelung ganz planmäßig: Seine |
| 9 | | Maschine befördert Nachtluftpost. |
4 | 10 | | Gegen zwei Uhr ist die »Neustadt« über der Elbmetropole, letzte Kurve, Landung, |
| 11 | | ausrollen. Während sich Pilot und Co. schon auf ihre Hotelbetten freuen, beginnt für |
| 12 | | andere der Ernst des Arbeitsalltags, mitten in der Nacht. Der Kapitän hat seinen Jet noch |
| 13 | | nicht einmal verlassen, als der bereits von Förderbändern, Greifarmen, Hebebühnen und |
| 14 | | Treppen umstellt wird. Ein kleines Heer von Mitarbeitern des Flughafens Hamburg- |
| 15 | | Fuhlsbüttel macht sich an dem Düsenriesen zu schaffen. Schließlich müssen die |
| 16 | | »Passagiere« innerhalb kürzester Zeit heraus, um anderen Platz zu machen: Tagsüber |
| 17 | | stürmen sonnenhungrige Teneriffa-Touristen die Sitzreihen des Jumbos. |
5 | 18 | | Der nächtliche Spuk beginnt schon gegen 23 Uhr auf den internationalen Flughäfen |
| 19 | | der Bundesrepublik. Während Linien-und Charterflugverkehr zu dieser Zeit ruhen |
| 20 | | müssen, erledigen Maschinen aus Bremen, Hamburg, Köln/Bonn, Stuttgart, Hannover, |
| 21 | | Nürnberg und München die Arbeit der Deutschen Bundespost. Gemeinsames Ziel: |
| 22 | | Frankfurt. |
6 | 23 | | Schon kurz nach Einführung des Systems vor zweieinhalb Jahrzehnten sprach die |
| 24 | | Bundespost von einer »revolutionären Servicesteigerung«. Ein Brief, nachmittags in |
| 25 | | Bremen eingeworfen, erreichte plötzlich den Adressaten in Rosenheim bereits am |
| 26 | | nächsten Tag. |
7 | 27 | | Einer zufriedenen Kundschaft wegen spucken insbesondere die zwei Dutzend |
| 28 | | Postarbeiter auf dem Flughafen Frankfurt Abend für Abend in die Hände. Sie und knapp |
| 29 | | 30 Flughafen-Angestellte sorgen am Dreh- und Angelpunkt des Nachtluftpost-Systems für |
| 30 | | den aufwendigen Umschlag zu mitternächtlicher Stunde. Im Zentrum des Flugnetzes muß |
| 31 | | alles wie am Schnürchen laufen. Denn innerhalb einer dreiviertel Stunde, zwischen 23.50 |
| 32 | | und 0.30 Uhr, steuern die sieben Flugzeugriesen ihre Position auf dem Rollfeld an. |
8 | 33 | | Die Maschinen, die dann einparken, sind vollgepackt mit Containern und |
| 34 | | Postbeuteln. |
9 | 35 | | Dieser reibungslose Betrieb ist bis heute konkurrenzlos geblieben. Sorgen bereiten |
| 36 | | den daran gut verdienenden Luftfahrtgesellschaften allerdings zwei »Gegner«: die |
| 37 | | Deutsche Bundesbahn, die aus ihrem Domröschenschlaf zu erwachen beginnt und ihr |
| 38 | | Schnellverkehrsnetz für Frachtgut ständig verbessert. Und natürlich die Fluglärminitiativen. |
| 39 | | Die nämlich geben sich nicht zufrieden, wenn der »leise« Flüsterriese Airbus |
| 40 | | am nächtlichen Himmel dahinsäuselt, Im Bauch: Briefe, Karten und vielleicht sogar ein |
| 41 | | Protestschreiben gegen Fluglärm, das am nächsten Tag da sein soll. |