1 | 1 | | Kaum jemand traut sich mehr auf die Straße. Wer sein Leben liebt, der wartet erst |
| 2 | | einmal ab und hofft, daß die»Weiber« zur Ruhe kommen. Vor dem Rathaus dreschen |
| 3 | | 1616 im südholländischen Delft kreischende Bürgerfrauen mit Ruten, Besen, Forken und |
| 4 | | Flegeln rücksichtslos auf jeden ein, der ihnen in die Quere kommt. - Sie wehren sich |
| 5 | | gegen ihre Stadtväter, die den Preis für Mehl drastisch erhöht haben. |
2 | 6 | | Heute finden derartige Schlachten im Zuge der sogenannten Emanzipation nicht |
| 7 | | mehr statt. Frauen kämpfen mit anderen Methoden und um anderes: Sie sind zum Beispiel |
| 8 | | fleißig dabei, sich auch die letzten Bastionen der Berufswelt zu erobern. Da wird es immer |
| 9 | | schwieriger, in einer Sparte die erste zu sein. Allenfalls die Suche von Bundesforschungsminister |
| 10 | | Heinz Riesenhuber nach »mindestens einer« Astronautin für die zweite |
| 11 | | Weltraummission unter deutscher Leitung scheint noch Möglichkeiten offen zu lassen. |
3 | 12 | | Das war nicht immer so. Im alten Rom beispielsweise stand die Frau nahezu |
| 13 | | rechtlos unter der Gewalt des Vaters oder Ehemanns. Und auch die patriarchalische |
| 14 | | Ordnung der Germanen sprach den Frauen die gleiche Rechtsfähigkeit zu wie Kindern: |
| 15 | | keine. |
4 | 16 | | Der beachtliche Rechtsstatus, den Frauen demgegenüber im Mittelalter besaßen, ist |
| 17 | | nur in den Köpfen weniger verankert. Das mag daran liegen, daß die Rolle, die Frauen in |
| 18 | | der Geschichte spielten, lange Zeit nicht für erforschenswert gehalten wurde. Erst seit |
| 19 | | kurzem bemühen sich Wissenschaftler, diese »Geschichtslosigkeit« auszumerzen. |
5 | 20 | | Daher ist heute bekannt, daß in der mittelalterlichen Stadt nicht alles Männersache |
| 21 | | war. Frauen hatten eine starke, der des Mannes entsprechende Stellung. »Ihre Mitgift |
| 22 | | bestimmte die Größe des Handwerksbetriebs oder des Bauernhofes, ihre Arbeitskraft war |
| 23 | | ebenso wichtig wie die des Mannes«, so Robert Geipel, der Leiter des bayerischen |
| 24 | | Staatsinstituts für Hochschulgeschichte und -forschung, |
6 | 25 | | Zahlreiche Quellen berichten über die Aktivitäten unabhängiger Händlerinnen. |
| 26 | | Frauen betätigten sich als Zunftmeisterinnen, Gewandschneiderinnen, Beamtinnen, |
| 27 | | Schulmeisterinnen. Auch die Ärztin war keine ungewöhnliche Erscheinung. |
7 | 28 | | Mit dem ausgehenden Mittelalter jedoch sollten diese »paradiesischen« Zustände |
| 29 | | enden. Unter dem Deckmantel der Wissenschaft wurden die Frauen in allen |
| 30 | | gesellschaftlichen Bereichen zurückgedrängt, an den Universitäten, die in Deutschland |
| 31 | | seit dem 14. Jahrhundert entstanden, waren sie nicht zugelassen. |
8 | 32 | | Erst 1918 erhielten die Frauen erstmals das Wahlrecht. Sie konnten wählen und sich |
| 33 | | wählen lassen. Das nutzten sie. Im Reichstag saßen von 1919 bis 1930 mehr Frauen als |
| 34 | | heute im Bundestag. Ein Erfolg, der offensichtlich vergessen worden ist. |