1 | 1 | | Die beiden Herren haben sich nicht mehr viel zu sagen. Der eine denkt nur noch an |
| 2 | | eine strahlende Zukunft mit einer Menge Steuereinnahmen und weniger Arbeitslosen, der |
| 3 | | andere fürchtet den Strahlentod. Seit die Gemeinde Wackersdorf in der Oberpfalz |
| 4 | | Standort für die Wiederaufarbeitungsanlage für Kernbrennstoffe werden soll, verkehren |
| 5 | | Bürgermeister Josef Ebner (SPD) und Landrat Hans Schuierer (ebenfalls SPD) nur noch |
| 6 | | höchst selten miteinander. Hoffnung und Horror vertragen sich nun mal schlecht. |
2 | 7 | | Was ist los? Im Februar gab die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von |
| 8 | | Kernbrennstoffen mbH (DWK) in Hannover bekannt, sie habe sich entschieden für den |
| 9 | | Standort Wackersdorf in der Oberpfalz gegen Dragahn in Niedersachsen. |
3 | 10 | | Wackersdorf, ein sauberes Dorf am Rand des Zonenrandgebietes. Anfang der 70er |
| 11 | | Jahre noch die reichste Gemeinde Bayerns. Und hier, im Rücken des Ortes, im dann |
| 12 | | abgeholzten Taxölder Forst, soll die erste bundesdeutsche, kommerziell arbeitende |
| 13 | | Anlage entstehen, die die Brennelemente der Kernkraftwerke wiederverwendbar macht. |
4 | 14 | | Wie stark der Widerstand aber allein in Wackersdorf ist, bekam die DWK in einer |
| 15 | | geheimen Untersuchung zu spüren. Auf die Frage »Würden Sie es persönlich |
| 16 | | befürworten, daß die Wiederaufarbeitungsanlage hier errichtet wird?« antworteten 57,9 |
| 17 | | Prozent der Befragten aus der Region, sie seien »eher dagegen«. |
5 | 18 | | Damit nicht genug: Studenten der Uni Regensburg machten bei 1427 Befragten |
| 19 | | ebenfalls fast nur Gegner aus. Nur jeder vierte sprach sich für die |
| 20 | | Wiederaufarbeitungsanlage aus. Und jeder siebte will wegziehen, wenn sie gebaut wird. |
6 | 21 | | Bürgermeister Ebner glaubt, daß »gut die Hälfte« der Bewohner für die Anlage ist. |
| 22 | | Zumindest im Gemeinderat wird ihm der Rücken gestärkt: 15 Lokalpolitiker sind dafür, |
| 23 | | zwei dagegen. |
7 | 24 | | Ebner hofft auf vie1e, auf sehr viele neue Arbeitsplätze. Als 1982 die Bayerische |
| 25 | | Braunkohlenindustrie nach 76 Jahren in Wackersdorf die Förderung einstellte, wurden |
| 26 | | 1400 Leute arbeitslos. Schon vorher hatte der Ort sich vergeblich bemüht, einen neuen |
| 27 | | Großarbeitgeber anzusiedeln. |
8 | 28 | | »Man spricht von 1600 Arbeitsplätzen«, erklärt der Bürgermeister. Die DWK aber |
| 29 | | sagt: »Es sind gut tausend.« Fest steht: In Wackersdorf sucht jeder fünfte einen Job. Fest |
| 30 | | steht auch: Die meisten Arbeitslosen halten zu ihrem Bürgermeister. |
9 | 31 | | Der denkt auch daran, einen Batzen Gewerbesteuer zu kassieren. Ebner glaubt an |
| 32 | | 30 Millionen Mark, die sich seine Gemeinde mit drei anderen teilen würde. |
10 | 33 | | In den Kneipen des Ortes, in den Geschäften, bei Versammlungen, in der Sauna, ja |
| 34 | | sogar in der Kirche wird über die geplante Anlage gesprochen. Die Diskussionen machen |
| 35 | | deutlich, wie gespalten das Dorf ist. Die tiefen Risse gehen durch Freundschaften, |
| 36 | | Bekanntschaften, Nachbarschaften, sogar durch politische Parteien. Sie zeigen sich sogar |
| 37 | | in den Familien: So schlossen sich zum Beispiel am Tag der Großdemonstration |
| 38 | | ausgerechnet die Frau, der Sohn und die Schwiegertochter des Bürgermeisters den |
| 39 | | Gegnern an. Josef Ebner selbst überreichte Pokale beim örtlichen Wanderverein. |
11 | 40 | | Zerstrittenheit hin, Zerstrittenheit her. Auch die Frage, ob die Anlage letztlich |
| 41 | | überhaupt gebaut wird und in Betrieb geht, ist unklar. Bayerns Umweltminister Alfred |
| 42 | | Dick erklärte: Endlagerung sei schließlich aus heutiger Sicht billiger als |
| 43 | | Wiederaufarbeitung. |