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Der Kampf urn die Überstunde

 

Der Kampf um die Überstunde

11    »Unter der Woche gibt es fast nur noch Eintopf zu essen , sonst kommen wir nicht
2 mehr über die Runden. « Hannelore und Bernd Berres aus Düsseldorf fehlen 500 Mark in
3 der Haushaltskasse. Der Grund : Sie dürfen in ihrer Firma keine Überstunden mehr
4 machen. Erst vor kurzem hatten die beiden sich eine teure Wohnungseinrichtung auf
5 Kredit gekauft. Die monatliche Tilgungsrate wollten sie mit dem Überstundenverdienst
6 zurückbezahlen. Das diese Rechnung eines Tages nicht mehr aufgehen könnte, ist ihnen
7 nicht in den Sinn gekommen. Jetzt sitzen sie auf einem Stapel unbezahlter Rechnungen
8 und auf einem teuren 13000 Mark-Kredit. Ihren Lebensstandard müssen sie drastisch
9 zurückschrauben. Ähnlich wie der Familie Berres geht es schon vielen deutschen
10 Arbeitnehmern.
211    In immer mehr Firmen fallen aufgrund der schlechten Auftragslage weniger
12 Überstunden an. Selbst Deutschlands größ ter Arbeitgeber, Siemens, ist betroffen:
13 »Generell läss t sich feststellen, dass die Zahl der geleisteten Überstunden rückläufig ist.«
14 In anderen Firmen hat die Geschäftsführung die Mehrarbeit ganz verboten.
315    Durch den Rückgang der Überstunden im Betrieb wächst auch die Angst um den
16 Arbeitsplatz, denn oft war der Wegfall der Mehrarbeit nur der Vorbote von Kurzarbeit
17 oder Massenentlassungen.
418    Den Gewerkschaften sind die Überstunden schon lange ein Dom im Auge. Sie
19 möchten sie am liebsten ganz verbieten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB)
20 fordert, die Überstunden nicht mehr zu bezahlen, sondern sie mit Freizeit abzugelten. In
21 seinem Grundsatzprogramm steht : »Mehrarbeit ist auf da s unumgängliche MaB zu
22 beschränken. Ein Freizeitausgleich ist zwingend vorzusehen.« Das heißt, für Überstunden
23 bekommt der Arbeitnehmer kein Geld mehr, sondern Freizeit. Das ist für ihn aber nicht
24 mehr attraktiv genug, denn Freizeit hat er genug. Die Grundlage für die Forderung des
25 DG B war folgendes Untersuchungsergebnis: Durch ein Verbot der Überstunden könnten
26 1,3 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden.
527    Dass dies nur in der Theorie möglich ist, sieht auch der DGB ein. Denn
28 Überstunden schaffen nur dort neue Arbeitsplätze, wo sie regelmäßig gemacht werden. In
29 den meisten Fällen dienen sie aber dazu, Engpässe in der Produktion und in der
30 Lieferung zu überbrücken. Hier werden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen. Bei einem
31 Verbot der Überstunden wäre auch der Staat der Dumme, denn die Schwarzarbeit würde
32 zunehmen.

Quick, März 1985